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jcr
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jcr: Offline

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jcr is on a distinguished road

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Datum: 01.05.2003
Uhrzeit: 12:15
ID: 1632



PSNB #25 (Permalink)
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Zitat:
...Satteldächer genauso eine Existenzberechtigung, wie Glaskisten....
Eben das ist das Problem. Ein rasches Nachschlagen bei Kruft, H.W.: Geschichte der Architekturtheorie, München (4) 1995, p. 448 sagt uns:
"Einige dieser Architekten, die z.T. in erheblichem Maße publizistisch tätig waren, führten unmittelbar in die nationalsozialistische Kulturideologie hinein. Erwähnt seien Paul SNB (1869-1949), dessen "Kulturarbeiten" (1901-07) eine Bastion germanisierender Kulturpolitik bildeten".

Die Anmerkung 200 auf dieser Seite verweist gleich noch auf "Kunst und Rasse", München 1928. Freundlicherweise ist eine gescannte Seite auf der von Rastrelli erwähnten Seite enthalten (freilich war ich dort - man muß sich doch eine eigene Meinung bilden). Demnach befriedigt die Erklärung, "die Geschmäcker seien eben verschieden", nicht. Vielmehr sei eben die Rasse für die Architektur entscheidend, das Wort Rassenhygiene fällt. Mit einem Eingehen auf lokale, implizit rassenunabhängige Voraussetzungen wie bei Palladio hat dies nichts zu tun. Bei Palladio zählt nicht die Rasse, sondern der Bauherr und der Ort.
Die Differenzierung von PSNB auf der genannten gescannten Seite zwischen dem diesseits der Alpen befindlichen Langschädel und dem südlichen Breitschädel und den damit verbundenen architektonischen Implikationen wirft dann Fragen für den transalpinen Kulturtransfer auf, - vermittelte doch Algarotti, wenn ich mich recht erinnere, an den sächsischen König Bilder von Canaletto. Demnach ist wohl "rassenhygienisch" die Frauenkirche abzulehnen? Ob Rastrelli nun dafür ist oder nicht lasse ich dahingestellt.

Eine dekontextualisierte, formalisierende Loslösung von gebauter Architektur und dahinterstehender Ideologie ist unzulässig. Die SS-Siedlung Zehlendorf ist und bleibt eine SS-Siedlung, im lebendigen Kontrast zu "Onkel Toms Hütte". Es ist die Frage, bis zu welcher Detailebene die Ideologie die Architektur beeinflußte.
Als Kuriosum taugt das theoretische Werk von PSNB sicher und ist für den historisch interessierten Menschen wahrscheinlich auch lesenswert, ein objektives Qualitätskriterium stellt die "Architekturtheorie" von PSNB demnach nicht dar, vielmehr wird aufgrund der rassentheoretischen Basis eine Exklusivität des Satteldachs für den nordeuropäischen Sprachraum in Anspruch genommen. Ein Flachdach ist damit, analog zu der Diffamierung der Weißenhofsiedlung als "Vorstadt Jerusalems" (Paul Bonatz), abzulehnen. Ich deute hier das eingangs erwähnte Zitat Samsarahs an.

Als ob die Moderne keine Tradition hätte! Dies fällt mir immer wieder ein, wenn ich von "traditioneller" Architektur lese. Wie definiert sich die architektonische Tradition? Endet sie mit dem Jahr 1900, mit dem ersten Flachdach nördlich der Alpen, mit den Glaskisten der Gotik, von der ich immer so wenig lese bei der ganzen unsäglichen Diskussion?

Geändert von jcr (16.11.2005 um 23:35 Uhr).

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