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marcotica
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marcotica: Offline


marcotica is on a distinguished road

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Datum: 19.04.2005
Uhrzeit: 08:08
ID: 8149



Fehlender Realitätsbezug unter Architekten!

#1 (Permalink)
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Ich muß sagen, ich bin total frustriert, wenn ich lesen muß was hier in fast allen Themen von fertigen oder angehenden Architekten geglaubt und verbreitet wird.

Da wissen die Wenigsten was im realen Leben abgeht oder passiert.

Das wird hier im Themenbereich "Studium & Beruf" besonders deutlich. Man braucht nur mal in den Themen "Einstiegsgehälter für Architekten" oder "Pflichtpraktikum" lesen.



Sagt mal, wo lebt ihr eigentlich? Und wie?


Man muß doch als Architekt über eine gewisse Allgemeinbildung verfügen, weil man doch in fast allen Bereichen in der Lage sein muß zu entwerfen, zu realisieren und ständig mit "normalen" Menschen (Nicht-Architekten) zu tun hat.

Man sollte wissen, wie das Lohngefüge in Deutschland aussieht und was man so verdient als Maurer oder einfacher Arbeiter.

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Wie plant man sonst beispielsweise ein Einfamilienhaus für einen Familienvater mit 2 kleinen Kindern und 2.300 €/brutto-Monatsgehalt der keine Ahnung vom Bauen und von Baukosten hat???

Entwerfe ich (wie im Studium erlernt) mal einfach drauflos und unterbreite ihm einen tollen, repräsentativen Entwurf für sein neues Eigenheim und fange dann mal die Kosten für den Bau zu berechnen (vorausgesetzt ich weiß wie so was geht! Glaube ich ehrlich gesagt nicht, daß die Mehrzahl der hier versammelten Architekten weiß, wie das geht!).

Nein, das wäre auch der falsche Weg. Ich muß doch erstmal schauen, was kann sich dieser Mann mit seinem Gehalt und dem Gesparten überhaupt leisten, ohne die nächsten 50 Jahre lang abbezahlen zu müssen, weil er dann schon 85. Jahre alt wäre.

Und upppss!!! Es stellt sich raus, das zu planende Gebäude darf nicht teurer werden als 180.000 € (brutto) und die Familie will in 25 Jahren wieder schuldenfrei sein. Schließlich kommen noch Planungskosten, Grundstückskosten, Baunebenkosten (Was ist das werden jetzt Einige entsetzt fragen!) und noch ein paar andere Kosten hinzu.

Aber was bekommt man für 180.000 € für ein Haus? Wie groß darf so was sein? Welche Bauweise ist damit möglich? Geht das überhaupt?

Wie fangt ihr denn dann an zu planen, wenn ihr keinerlei Ahnung von Baukosten und -werten habt?????

....wollen wir es an diesem Punkt mal gut sein lassen, denn ich denke die Verwirrung ist schon groß genug!

Tatsache ist, daß ich z.B. beinahe täglich mit solchen Fragen konfrontiert werde und eine Antwort darauf geben muß! Sollte man als Architekt (egal ob reiner Entwerfer oder Ausführender) aber auch können!

Natürlich ist das jetzt nur ein Beispiel. Den ganzen anderen Kram (z.B. Structural-Glazing-Fassaden, Geschosswohnungsbau und die vielen tausend anderen Begriffe) sollte man natürlich auch im Repertoire haben.
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...und da gibts welche hier im Forum die Bau-Praktikas vor dem Studium gerade zu überflüssig finden. Man kann ja schließlich später noch rausfinden, ob man den richtigen Beruf ergriffen hat und das Richtige studiert hat. Und Entwerfer haben das ja sowieso nicht nötig....

So ein Schwachsinn!!!!

Da sind Themen "Wie soll die Mappe aussehen" und "An welcher Hochschule studieren" wirklich Nebensache.



Leider begegnen mir immerwieder sogenannte Architekten, die nicht einmal einen Kalk-Sand-Stein von einem Klinker unterscheiden können, geschweige denn jemals einen in der Hand gehalten hätten.

Aber dann den Handwerkern auf der Baustelle sagen wollen woraus das Haus gebaut wird und durch Pläne diktieren wie es aussehen soll. Wo bleibt da die Glaubwürdigkeit?




Die Schlimmsten unter den Architekturspezialisten scheinen mir tatsächlich diejenigen zu sein, die direkt nach dem allgemeinen Abitur Architektur studiert haben. Vielleicht noch erfolgreich um Wehr- und Zivildienst gedrückt und bloß nie in Kontakt mit dem Arbeitsleben kommen (ausser vielleicht mal bei einem zweiwöchigen Ferienjob bei Edeka).

Die absolute Weltfremdheit solcher Kandidaten ist mir beispielsweise vor 3 Jahren bei der Abi-Feier meiner kleinen Schwester aufgefallen. Da werden Reden geschwungen als hätte man die Weisheit mit Löffeln gefressen und unendlich viel Lebenserfahrung, nur weil man das grosse Latinum gerade in der Tasche hat.

Leider ändert sich bei vielen dieser Leute auch während des Architekturstudium nichts an ihrer Realtitätsferne und solche werden dann als Architekten auf die Menschheit losgelassen....Verdammt!





Wie hat meine Freundin (arbeitet in der freien Wirtschaft und hat nicht studiert) nach Präsentation der Diplomarbeiten (bei meinem Diplom) bemerkt: "Von 80% deiner Kommolitonen würde ich mir nicht mal eine Garage planen lassen".

Ich fand das damals sehr überspitzt und übertrieben, aber wenn dieses Forum einigermaßen die Verhältnisse widerspiegelt, dann muß ich ihr leider rechtgeben. Und nur um das vorweg zu nehmen, die besagten Diplomarbeiten waren mit Sicherheit nicht schlechter, als an anderen Hochschulen.

Wundert es da noch einen, wenn Architekten nicht ernst genommen werden????


Armes Deutschland....

Geändert von marcotica (19.04.2005 um 08:40 Uhr).

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