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Archimedes 20.01.2007 10:35

Letztendlich leiden doch alle Beteiligten unter dieser Negativpublicity:


Architekten, Fachplaner, Bauleitung, Bauherr und ausführende Unternehmen werden durch den Kakao gezogen. Jeder schiebt die Schuld zum anderen.


Für den fachfremden Betrachter ist es einfach nur ein Skandal:

Das neue Prestigeobjekt der Hauptstadt bzw. der Republik, 1 Mrd. € Baukosten, einige der Besten Fachleute und Architekten der Welt, erst 8 Monate fertig, ....und trotzdem müssen Passanten Angst haben von tonnenschweren Stahlträgern erschlagen zu werden, die offensichtlich nur der "Dekoration" dienen.


Natürlich läßt sich das unter Fachleuten nüchtern diskutieren und analysieren. Für den Ottonormalverbraucher, der die Zusammenhänge von Architektur, Statik und Ausführung nicht kennt, ist es einfach nur Dilettantismus auf höchstem Niveau.





Eine Sache noch:

Natürlich kann man dem Architekten hier keine direkte Schuld geben, denn dafür sind noch zuviele andere Fachleute beteiligt gewesen, die alle zusammen etwas mehr Sorgfalt hätten walten lassen können.
Trotzdem sollten wir (Architekten) uns auch öfters fragen und damit auseinandersetzen, wie unsere gestalterischen Vorstellungen sich in einem sinnvollen Rahmen (preisbewußt, praktisch, handwerklich, sicher) umsetzen lassen.
Vermutlich kann man auch der ausführenden Firma keine großen Vorwürfe machen, denn diese Leute haben sich auch darauf verlassen, daß sie es hier mit den ganz Großen aus Architektur und Tragwerksplanung zu tun haben, die schon wissen sollten was sie tun. Gerade bei solchen Ausnahmeprojekten müssen sich die ausführenden Unternehmen auf Details und Situationen einlassen für die es vorher oft keine Vergleichsprojekte gab. Stellt man sich dann als ausführendes Unternehmen zu quer, sicherheitsbewußt und stellt zuviele lästige Fragen, könnte es sein, daß man beim nächsten Projekt nicht mehr berücksichtigt wird, weil man zu "kleinlich", unflexibel und ängstlich ist.

mika 20.01.2007 11:19

Zitat:

Originally posted by Archimedes
Vermutlich kann man auch der ausführenden Firma keine großen Vorwürfe machen, denn diese Leute haben sich auch darauf verlassen, daß sie es hier mit den ganz Großen aus Architektur und Tragwerksplanung zu tun haben, die schon wissen sollten was sie tun. Gerade bei solchen Ausnahmeprojekten müssen sich die ausführenden Unternehmen auf Details und Situationen einlassen für die es vorher oft keine Vergleichsprojekte gab. Stellt man sich dann als ausführendes Unternehmen zu quer, sicherheitsbewußt und stellt zuviele lästige Fragen, könnte es sein, daß man beim nächsten Projekt nicht mehr berücksichtigt wird, weil man zu "kleinlich", unflexibel und ängstlich ist.
Du weißt schon, dass - außer es wird vorher ausdrücklich etwas anderes vertraglich veinbart - der ausführende Bauunternehmer die Gewährleistungspflicht hat !?

Ein AN der sich wieder besseren Wissens oder mit blindem Vertrauen auf die Planung des Entwurfsarchitekten verläßt, sollte mindestens dieses Risiko finanziell absichern. Alles andere ist Selbstmord, und dann ist es auch egal, ob man dieses mal kooperativ war. Bei nächsten mal bittet eh keiner mehr um ein Angebot, wenn man so wenig Ahnung hatte, dass man diesen Leichtsinn mit gemacht hat.

Archimedes 20.01.2007 12:09

Klar der AN hat i.d.R. immer die A-Karte.

Aber wir als Architekten sollten mit diesem Umstand nicht mißbräuchlich umgehen.

Das möchte ich in diesem Fall aber auch gar keinem unterstellen.



Es ist ein zweischneidiges Schwert für den AN in solch delikaten Situationen:

Mit dem Architekten oder den Ingenieuren anlegen, den Besserwisser spielen (was Architekten bei Handwerkern nunmal auf den Tod nicht ausstehen können) und somit möglicherweise alle Chancen verspielen, nochmal einen Auftrag zu bekommen.

oder

Vielleicht Bedenken haben, diese aber nicht laut äußern, die Sache wie geplant durchziehen und hoffen das es gut geht, aber dafür keinen Ärger mit dem Architekten und den Fachplanern bekommen. Wenn etwas schief geht, kann man immer noch den "Unwissenden und total Überaschten" spielen.


Übrigens: Wer sich finanziell absichert, bekommt in der Regel den Auftrag nicht, weil er zu teuer ist.




Ich habe ziemlich guten Kontakt zu verschiedensten Handwerkern und Unternehmern. Ich kann immer wieder feststellen, daß diese heute von vielen Architekten wie der letzte Dreck (Sorry!) behandelt werden und das unsere Kollegen ihre eigenen Fehler mit Vorliebe und einer ganz selbstverständlichen Arroganz auf die Firmen abwälzen.



...aber wir bewegen uns langsam weg vom Thema.;)

Tom 20.01.2007 12:19

Die (Laien-) Öffentlichkeit kann sich mit recht darüber empören; und dass der Archi da auch sein Fett weg bekommt, ist klar. Man muss aber mal bedenken, wie aufwändig und wie genau heutzutage solche Bauwerke simuliert & berechnet werden, erst recht "Leichtbau"-Konstruktionen à la Schlaich wie die filigranen Stabschalen der Glashallen.

Jeder kritische Bauzustand, jede Setzungszwängung, jede Temperaturverformung wurde da millimetergenau vorab berechnet und ausgecheckt. Dass sowas trotzdem passiert, ist für alle eine echte Katastrophe.

-> Passiert aber in größeren Abständen, weil alle Berechnungsmodelle, Normen, etc. nicht perfekt sind. Ich habe im Studium eine Studienarbeit über einen der spektakuläreren deutschen Nachkriegs-Brückeneinstürze geschrieben (Südbrücke Koblenz), da kamen ein paar Dutzend Leute zu Tode - und Schuld war am Ende niemand. Die Normen wurden geändert.

Tom 20.01.2007 13:23

FAZ-Polemik gegen Gerkan
 
http://www.faz.net/s/RubCF3AEB154CE6...~Scontent.html

Mehr aus der Abteilung Stammtisch-Gesülze ...

Archimedes 20.01.2007 13:35

Der Gesülze-Link funktioniert leider nicht!
:o

Tom 20.01.2007 13:57

www.faz.net - und dann auf der "Feuilleton"-Startseite die 2. Meldung von oben. Evtl. unterstützen die Deep-Links nicht. Und ab morgen wird das auch nicht mehr kostenlos sein.

Ist aber ja eigentlich gar nix dran, an dem Artikel. Einige Kommentare sind vernünftig ...

Diese "Verzierungs"-Frage ist schon etwas irritierend. Konstruktive Architektur als solche ist ja eigentlich sowieso ziemlich out (eine Sache der 1980er und 1990er). Aber wenn man sie macht, muss man ja nun alle heiligen Grundsätze eines "ehrlichen", selbsterklärenden Tragwerks erfüllen. Die Attrappe gilt und galt zurecht als "böse". Dafür wird und wurde man als Student ja geschlagen und in den Keller gesperrt (auch von von Gerkan).

Der Grundsatz der "Ehrlichkeit" ging doch soweit, dass man das Tragwerk so lange umkonzipiert hat, dass alle als ostentativ tragend vorgeführten Teile tatsächlich tragend wurden. So wie in Berlin, handelt es sich um eine reichlich postmoderne, schein-konstruktive Architektur ... Die Glashallen und -Dächer sind natürlich 1:1 orthodox-modern "ehrlich". Und darüber sollten wir uns alle freuen ;) ...

Florian 20.01.2007 15:23

FAZ: Gerkan soll schweigen:

http://www.faz.net/s/RubCF3AEB154CE64960822FA5429A182360/Doc~EDE2C160D1B574DF4AF0C3C2B99560022~ATpl~Ecommon ~Scontent.html

-> Freizeichen von Doc~ löschen, dann gehts.

flash 20.01.2007 20:29

oh mann also ich bin echt schockiert, daß eine Zeitung mit solch einem seriösen Anspruch einen so polemischen und emotional geleiteten Artikel abdruckt.

Tom 21.01.2007 13:10

Die Süddeutsche hat einen Klasse-Artikel dazu: http://www.sueddeutsche.de/deutschla...kel/864/98766/. So verständig, dass man annehmen könnte, der Autor sei ein umgesattelter Architekt ;).

Zitat zu den Zuständigkeiten:
Zitat:

Der Bau eines Bahnhofes ist komplex. Vom Architekturbüro gmp (von Gerkan, Marg und Partner, Hamburg) stammten räumliche Organisation und Konstruktionsprinzip, vom Statiker (Schlaich, Bergermann und Partner, Stuttgart) kamen die statisch konkreten Berechnungen, die Stahlbaufirma (Donges GmbH, Darmstadt) verantwortete die Produktion der Bauteile und deren Montage.

Prüfstatik sowie Bauleitung lagen schließlich in Händen der Bahn. Als Fehlerquelle kommt bei der Umsetzung des Entwurfs also mancherlei in Frage - und am Ende war’s natürlich der Wind.
100 Träger sind von dem Problem betroffen. Innerhalb der kommenden Woche will die Bahn alle fraglichen Anschlussstellen mit irgendwelchen Blechen sichern / vor Wind schützen. Wenn das mal kein sichtbarer Eingriff in die aufgeräumte Fassadenstruktur wird - am Ende sieht das alles aus wie ein von Mehdorn selbst rennoviertes Gästeklo ...

Tom 21.01.2007 14:16

http://www.welt.de/data/2007/01/20/1184400.html

Archimedes 21.01.2007 14:27

Eigentlich kommt für uns Architekten doch noch was Gutes bei diesem Vorfall raus:

_________________________________
Zitat aus dem vorangegangenen Artikel:

Bahnhofs-Architekt Meinhard von Gerkan sieht keine Schuld seines Büros am Absturz des Trägers. Es handele sich entweder um einen Fehler der Statik, der Bauausführung oder der Bauüberwachung, hatte das Architektenbüro mitgeteilt.
_________________________________


Die Öffentlichkeit wird im Zuge der Ermittlungen jetzt endlich mal aufgeklärt werden, daß wir Architekten nur für geschmackliche Verirrungen oder gestalterische Fehltritte veranwortlich gemacht werden können. Für einstürzende Gebäude, Veletzte und Tote sind in jedem Fall immer andere verantwortlich.

Wenn ein Entwurf also stimmt und der breiten Öffentlichkeit gefällt oder zumindest plausibel gemacht werden kann, dann kann uns doch nichts mehr passieren!

:D :D :D

Tom 21.01.2007 14:52

Ein wenig Recht hast Du mit der Überzeichnung bestimmt schon. Aber die Verhältnisse zwischen Bauherr, Architekt, Statiker können halt so oder so sein. Es gibt Konstellationen, da kuscht der Statiker vor dem Architekten, und evtl. auch der Bauherr. Schlaich kuscht aber bestimmt vor niemandem.

Und die Bahn ist offenbar ein sehr starker und bestimmender Bauherr gewesen. In einem Berliner Blog schrieb jemand von der "DB Projekt Bau", dass der berühmte ägyptische Oberbauleiter nach innen hin absoluten Druck ausübt, die Firma personell in den letzten Jahren ausgedünnt wurde und insgesamt so demotiviert ist, dass es Widerspruch von Innen nicht gibt.

Und wegen des fixen WM-Eröffnungstermins wird da einiges hinter den Kulissen abgegangen sein. Prüfstatik und Bauleitung waren in Händen der Bahn. Zwischen den Zeilen bekommt man schon den Eindruck, dass diese kühne (Nicht-) Befestigungsweise irgendwas mit Termindruck und mit der relativen Entscheidungsgewalt der Bahn zu tun gehabt hat.

Die Bahn ist ein besonderer Bauherr - das mit der Ingenieurskompetenz im Hause habe ich schon gesagt (die erstreckt sich auch auf die Streckenplanung und auf die Elektrotechnik der Fahrzeuge). Die bestellt nicht als ahnungsloser Laien-Bauherr ein Bauwerk; die hat das Gefühl, dass sie das eigentlich komplett alleine könnte. - Ein offenbar trügerisches Gefühl :) ...

Florian 21.01.2007 15:53

Zitat:

Originally posted by Tom
Prüfstatik und Bauleitung waren in Händen der Bahn.
Was meinst Du damit? Die Prüfstatik hat irgendein ehr kleineres Berliner Büro bemacht!

Tom 21.01.2007 16:11

Zitat:

Originally posted by Florian
Was meinst Du damit? Die Prüfstatik hat irgendein ehr kleineres Berliner Büro bemacht!
Stand in dem Artikel - wenn Du mit Deiner Information sicher bist ... Vielleicht waren da auch verschiedene Prüfer am Werke. Wenn das aber mit der Bahn stimmt, ist das schon bemerkenswert: Bauherr, Prüfstatiker und Bauleiter, eigentlich (auch aus Sicherheits- und Verantwortungsgründen getrennte Instanzen), die in einer Hand zusammenfallen.

Hier sind noch mehr Artikel:

http://www.tagesspiegel.de/berlin/ar...07/3034174.asp
http://www.tagesspiegel.de/politik/a...07/3034383.asp

In den Artikeln ist die Rede davon, dass das Abhebe-Risiko vorher diskutiert wurde und auf eine Sicherung bewusst verzichtet wurde. Außerdem ist noch nicht raus, ob die Sache wirklich wie genehmigt ausgeführt wurde. Gerkan hat angeblich einen eigenen Prüfer engagiert. Die Bleche, die die Bahn gegenwärtig dranschweißen lässt, sind wohl nur kleine Laschen, die von oben ein Abheben verhindern - wird wahrscheinlich niemanden stören.

Ich fabuliere mal ins Blaue: Wenn am Ende niemand schuld sein sollte, könnte es daran gelegen haben, dass irgendeine aerodynamische Besonderheit an der oberen Gebäudekante oder -Ecke im Zusammenhang mit dem vorgestellten Stahlgerüst da für Abhebekräfte gesorgt hat (Wirbel), die niemand auf der Rechnung hatte und die das vermeintlich komfortabel große Eigengewicht der Träger locker überstiegen hat.

Florian 21.01.2007 18:42

Zitat:

Originally posted by Tom
Stand in dem Artikel - wenn Du mit Deiner Information sicher bist ...
Eine Kommilitonin hatte mir vor zwei Jahren erzählt, dass Sie in dem Statikbüro arbeitet, dass für den Bahnhof die Prüfstatik germacht hat... Im Namen kam aber nicht DB vor ;)

Tom 21.01.2007 19:23

Ich habe irgendwo alte Fotos vom Bauschild - kann ich aber nicht mehr finden (die abgestürzten Träger habe ich auch auf einem Bild von September 06). Das Riesenprojekt war doch mit Sicherheit in mehrere Lose oder "Bauteile" mit mehreren Partnern aufgeteilt.

Ich phantasiere ja gerne; und ich würde meine Phanasien noch auf die Vermutung/Möglichkeit ausdehnen, dass es für ein Wind-Abheben dieser Träger gar keine Nachweise gibt, die Norm keine ausdrücklichen Nachweise verlangt und niemand der Beteiligten es einfach vom Bauch her für möglich gehalten hat, dass das ein Thema sein könnte.

2 Tonnen = 2000 kg = 1000 kg pro Auflagerseite. Sooo viel ist das eigentlich auch wieder nicht, wenn PKW mit 1000 und 1500 kg auch einfach mal so umgepustet werden. Schlaich wird jetzt bestimmt die Statik der Glashallen nochmal mit Orkanwindstärken durchrechnen, und am Wochenende zu Hause dann nochmal, mit dem Faktor 1.5 ;). Sowas geht ja wohl bei allen an das berufliche Selbstvertrauen.

Außerdem wird Gerkan jetzt darüber nachdenken, bei welchen Projekten er noch auf die Schwerkraft vertraut hat. Du (@ Florian) kennst die Projekte ja zum Teil sicher besser - aber hat gmp z.B. bei gewissen Hochhäusern in China nicht auch diese außenliegenden Aluguss-Lamellen eingesetzt? Zu Hunderten? In großen Gebäudehöhen? Hoffentlich sind da alle Schrauben angezogen. An diese kühneren Stadiondächer möchte man ja gar nicht denken ...

FoVe 21.01.2007 20:25

die Häme der Laien trifft uns alle.
Egal pb Planer, Statiker, Bauleitung oder ausführende Firmen.
So ein Ding hätte nicht passieren dürfen.
Zeigt uns aber vor Allem, dass eben der gesunde Menschenverstand nicht ausreicht.

Ich habs oft erlebt - egal ob als Zimmermann oder später dann als Projektleiter - wenn du deine Bedenken äußerst, dann bist du ganz schnell mundtot.
Könnt ihr euch die Szene vorstellen:
am Jour Fix Tisch - 1 ausführender Architekt vom Büro Ingenhoven, 2 Vertreter der Bauüberwachung von Drees und Sommer, 2 Planer vom Quickborner Team wegen der Raumeinteilung, 2 Vertreter der Bauherrn sprich Lufthansa, 2 Fachingenieure der GEbäudetechnik ABB, 1 Brandschützer, 1 Vertreter der übergeordneten Gesamt ARGE mit Termin- und Kostendruck im Hintergrund..und dann fragst du danach, wie die geplante Innenwand ( structual Glasing ) aus ESG denn bitte rund um das 15 cm dicke Stahlseil, welches eben die beiden Stahlbetonpfetten des Tonnendachs am Giebel zusammenhält kommen soll.
Ich bin angekuckt worden, als hätte ich ein Märchen erzählt.
Hab gedacht, gleich steht einer auf und streichelt mir übern Kopf :confused:
..naja, nachdem Baustellenbesuch wars dann klar, der dumme kleine Projektleiter hat soeben einen ziemlich blöden Planungsfehler aufgedeckt.
Mann war dass denen peinlich....
.... dass ich sie voreinander so blamiert hatte ;)


Was glaubt ihr denn, wer die Scheiße dann auslöffeln durfte?

Gruß

Martin

vangogh 23.01.2007 18:46

also, ich bin immer noch geschockt....

und wenn ich mir in den diversen Zeitungsartikeln, die ihr hier ins Forum gestellt habt, die Fotos ansehe, vollkommen sprachlos!!

Wie es mir scheint, kann sich doch keiner der Beteiligten aus der Verantwortung schleichen.

Weder ästhetische Gründe noch Zeitdruck dürfen das Leben von Menschen gefährden.

Ich verstehe das Ganze noch nicht richtig.
Kostengründe und Zeitdruck hätten M. ja eigentlich dazu bewegen können, auf das überdimensionierte, (statisch unwirksame?) Korsett zu verzichten.

Die Auflagerausbildung halte ich eher für tollkühn. Da hat doch der angeblich ästhetische Anspruch (schlankes Detail) jede Vorsicht vergessen lassen. ich glaube ja, da könnte der Träger 5000 t schwer sein, wenn sich ein "2cm"-Auflager bewegt, bewegt sich auch der darauf locker aufliegende Träger, und zwar nach unten. Pech, wer gerade darunter steht.

Aber die Berlinbesucher sollten sich ja auch nicht auf die Stufen der großen Bahnhofstreppe setzen und gebaute Projekte von anderen Architekten in der Umgebung bewundern, sondern vom gegenüberliegenden Spreeufer aus sicherer Entfernung das Kunstwerk "Lehrter Bahnhof" genießen.
Wer das nicht macht, lebt gefährlich.

Wie gesagt, ich bin sprachlos,

Gruß,

vangogh.

personal cheese 10.02.2007 16:16

The Empire strikes back:

Bahn klagt gegen Star-Architekten

http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,465594,00.html

Tom 10.02.2007 17:12

Die Bahn zieht im Geheimen wohl sowieso finstere Konsequenzen aus dem Konflikt: Ich habe gehört, sie schließt schon jetzt grundsätzlich keine regulären Architektenverträge mehr ab, nur noch Rechte-Buy-Out-Sklaven-Zuarbeiter-Verträge. Außerdem könnte sie das deutsche Architektenrecht wohl auch dadurch aushebeln, dass eine ihrer US-Töchter als Auftraggeber eingesetzt wird.

Kosten- und Termindruck waren wohl mörderisch beim L. Bahnhof, im Hinblick auf den WM-Termin. 700 Mio EUR wurde ja als Gesamtsumme zum Zeitpunkt der Eröffnung genannt. Jetzt waren die Beobachter schon bei einer satten Milliarde EUR. Wahrscheinlich waren es noch deutlich mehr. Irgendwer hat vorgerechnet, dass sich diese Immobilie mit den erzielbaren Laden- und Büromieten auch in 500 Jahren noch nicht gerechnet haben wird.

Florian 10.02.2007 18:02

Das Kanzleramt wird sich finanziell auch nicht rechnen ;), anders als bei den meisten Flughäfen, die ausserhalb von Städten liegen, sind Bahnhöfe ein zentraler Punkt in den Städten, bei dem es nicht ausschließlich um wirtschaftlichkeit gehen darf.
Ich zumindes möchte nicht, dass in meiner Stadt nurnoch wirtschaftlich gebaut wird...

Kieler 10.02.2007 18:08

Zitat:

Originally posted by Florian
...
Ich zumindes möchte nicht, dass in meiner Stadt nur noch wirtschaftlich gebaut wird...

wer will das schon?
Die Realität ist eine andere!

Tom 10.02.2007 18:31

"Ohrenbleche" hätte gmp ursprünglich im Entwurf gehabt, die von der Bahn gestrichen worden seien, heißt es ja u.a. in dem SPON-Artikel. Auch die hätten aber nur dekorativen Zwecken dienen sollen und hätten in der Sturmnacht nix genützt, erwidert die Bahn. Hat jemand eine Idee, was unter einem Ohrenblech in diesem Fall zu verstehen ist? Ich kenne Blech-Laschen, Blech-Steifen, Blech-Stege, Blech-Gurte, Knotenbleche, ...

Die Berliner Zeitung hat übrigens ein ganzes Online-"Dossier" zum Bahnhof. Da kriegt man immer den aktuellen Stand, auf gutem fachlichem Niveau: http://www.berlinonline.de/berliner-...nhof/index.php

Archimedes 10.02.2007 18:38

Ja! Woher nehmen, wenn nicht stehlen? ;)

Ich bin auch dagegen, daß bei allen Projekten die der breiten Bevölkerung und "dem Ansehen eines Staates oder einer Stadt" dienen um jeden Euro gefeilscht wird und nur auf billig gemacht wird. Es muß auch Raum/Budget für gute Architektur und Prestige gelassen werden.
Trotzdem muß ja jemand die Zeche zahlen. Hier in Deutschland sind das leider allzuoft und selbstverständlich die Steuerzahler (wohlgemerkt die privaten Haushalte) und Verbraucher. In diesem Fall wohl auch die Bahnkunden, weil die Bahn ja noch ein Monopol hat, durch welches sie "beliebig" an der Preisschraube drehen kann.
Ich empfinde ein solches Projekt mit dieser Kostenüberschreitung nüchtern betrachtet als Katastrophe. Bei dieser Aussage möchte ich die Gestaltung einmal außen vorlassen, aber wenn man sich die ökonomische Seite betrachtet, läßt es sich wohl nicht anders beschreiben. Schließlich gehört auch Kostenkontrolle und Kalkulation zum Architektenhandwerk.

Bei jedem privaten Wohnhaus ist eine Kostensteigerung gegenüber der ursprünglichen Kalkulation um mehr als 20% schlichtweg eine Katastrophe und bedeutet für den Architekten Beruf verfehlt und großen Ärger. Für den Bauherren bedeutet es nachfinanzieren, Baustop oder in ein unfertiges Haus einziehen. Auf jeden Fall gibt's verdammt miese Stimmung.
Bei solchen Großprojekten werden die Kosten "ungehemmt" um ca. 50% überschritten und keiner regt sich furchtbar darüber auf.

Auch wenn hier letztendlich dem Architekten die Vollendung seines Werkes aus den Händen genommen wurde, so hätte auch er es wohl kaum wesentlich billiger bauen können.
Vielleicht wäre es sogar noch teurer geworden, mit vollständiger Überdachung und Gewölbedecken.

Natürlich kann man auch anführen, daß man für ein solches Objekt kaum oder keine Referenzprojekte findet, über welche man die Baukosten im Vorfeld kalkulieren kann, aber wenn ich in dieser Liga spielen will, dann müßte man es eigentlich schon etwas genauer fassen können.

...oder interessiert es wirklich Keinen?

Florian 10.02.2007 18:50

Zitat:

Originally posted by Archimedes
Bei solchen Großprojekten werden die Kosten "ungehemmt" um ca. 50% überschritten und keiner regt sich furchtbar darüber auf.
Das liegt daran, dass bei solchen Projekten die Kosten ersteinmal heruntergerechnet werden, damit das Projekt in den entsprechenden Gremien genehmigt wird.
Diese Rechnung wird übrigens i.d.R. nicht vom Architekten geschönigt! Häufig wird die Kostenermittlung gleich von Auftraggeber gemacht.

P.S.
Zitat:

Berliner Zeitung
Sein Büro habe der DB schriftlich mitgeteilt, dass die Fassadenbalken mit seitlichen "Ohrenblechen" gesichert werden müssen.
Da lässt sich die Bahn aber auf was ein. Die Akten sind bei gmp gut sortiert - da hab ich selber schon die ein oder andere Behauptung eines Fachplaners widerlegen können ( - der seine Ablage nicht so gepflegt hat) :D

Flo 10.02.2007 18:57

Zitat:

Originally posted by Florian
Das liegt daran, dass bei solchen Projekten die Kosten ersteinmal heruntergerechnet werden, damit das Projekt in den entsprechenden Gremien genehmigt wird.
Diese Rechnung wird übrigens i.d.R. nicht vom Architekten geschönigt! Häufig wird die Kostenermittlung gleich von Auftraggeber gemacht.

Ich habe auch mal ein einer Planung für die Bundeswehr mitgearbeitet, bei der ein extra entwickeltes Kostenermittlungsprogramm zum Einsatz
kam. Dorten wurden Raumtyp (Büro, Labor, Verkehrsfläche) und Raumgröße eingegeben und hinten kam dann die Kostenberechnung raus. Seit dem wundere ich mich nicht mehr über Kostenüberschreitungen.

Florian

Tom 10.02.2007 19:07

Zitat:

Originally posted by Archimedes
... Auch wenn hier letztendlich dem Architekten die Vollendung seines Werkes aus den Händen genommen wurde, so hätte auch er es wohl kaum wesentlich billiger bauen können.
Vielleicht wäre es sogar noch teurer geworden, mit vollständiger Überdachung und Gewölbedecken. ...
Ich glaube, mit Kosten hatte gmp wirklich nicht die kleinste Bohne zu tun. Das lag alles in Händen der Bahn selbst. Bei solchen Größenordnungen machen das oft auch externe Projektsteuerer. Die Berliner Zeitung schreibt:

Zitat:

Kaum ein Bauvorhaben in Berlin war so komplex wie der Bau des Hauptbahnhofs. Fünf Bauherren, über 40 Baufirmen, weit mehr als 100 Ingenieurbüros waren beteiligt. Die Bahn hielt aber immer die Fäden in der Hand. Das Projektmanagement übernahm die damalige DB Projekt Verkehrsbau GmbH. Ihre Aufgabe ist "die Vorbereitung und Steuerung von Planung, Bauvorbereitung, Baudurchführung und Bauüberwachung ... einschließlich der Vergabe, Koordinierung und Qualitätskontrolle aller Arbeiten", so Projektleiter Hany Azer.
Die lange Planungs- und Bauzeit mit Unterbrechungen, Umplanungen, Streichungen, Wieder-Aufnahmen haben sicher auch zu Kostensteigerungen geführt. Zudem fügt es sich ein in eine längere Berliner Verschwendungs-Tradition - das ICC sei auch x-mal so teuer geworden wie geplant.

Zum Thema Kostenschätzung: Die Glashallen, die Stirnfassaden, etc. sind alles patentierte Einzellösungen mit "Zulassungen im Einzelfall", für die langwierige Gutachten von Uni-Instituten gemacht wurden, etc. Das kriegt man nicht bei Aldi im Schnäppchen-Regal.

Tom 24.02.2007 13:46

Die Wahrheit über die "Ohrenbleche" in der Süddeutschen: http://www.gmp-architekten.de/filead...kte/LBB/SZ.pdf

mika 24.02.2007 15:07

Zitat:

Originally posted by Tom
Die Wahrheit über die "Ohrenbleche" in der Süddeutschen: http://www.gmp-architekten.de/filead...kte/LBB/SZ.pdf
Saubere Sache. Ich hab's geahnt, Mehdorns Kostenmanagement war Schuld.
Ist schon komisch. Das ist ja wie beim Einfamilienhausbau mit den Bauherren, die einen als Bauunternehmer im Nachhinein für die mißglückte Eigenleistung verantwortlich machen wollen. So nach dem Motto: an dem gerissenen Estrich sind die Wände Schuld, die ja viel zu dicht am Estrich errichtet wurden.

War es bei der Akademie der Künste am Pariser Platz nicht auch so, dass wider der Empfehlungen von Behnisch Behnisch und Partner der billigste Anbieter vom Bauherren genommen wurde. Als der das für die weit unter der Kostenschätzung liegenden Kosten nicht hinbekommen hat, und über Nachträge die Kosten dann wieder in der Größenordnung der Kostenschätzung oder darüber lagen, sollte auch wieder das Architekturbüro Schuld gewesen sein. Irgendwie so war das da.

Ich komm nicht umhin mal zu sagen, dass die Moral und Attitude der Bauherren in diesem Lande sehr zu wünschen läßt. Vielleicht sollte man mal die VOB dahingehend nach bessern.

Florian 24.02.2007 21:00

Aus dem Artikel kann man auch vor allem lernen, wie genau man mit seinen Formulierungen aufpassen muss!
Ein vorschnelles OK geht schnell nach hinten los - besonders wenn es schriftlich gegeben wurde.


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