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Tiefton 27.10.2004 21:11

Objektivirbare Kriteren??!
 
Ich kann die Verärgerung des von D.Hard verstehen, wobei er sicherlich nicht alles genauestens reflektiert hat.
Eine objektiv gute Architektur lebt natürlich ausschliesslich von der Form
und nicht dem Zubrot der Gestaltungselemente;da dürfte in Fachkreisen Einigkeit bestehen.
Also kommt es wohl auf die Form an, die wiederum von Ihrer Proportion und Richtung lebt. Das Handling dieser Parameter ist mit Sicherheit in Teilen empirisch untersuchbar aber in jedem Fall vom richtigen Blick des Schaffenden abhänig.
Da fängt der Bereich der Kunst an---und darüber wollen wir doch wohl keine Grundsatzdiskussion führen. ;)
Grüße

jcr 27.10.2004 22:42

Zitat:

Zubrot der Gestaltungselemente
:confused:

Tiefton 28.10.2004 09:20

Gestaltungelemente
 
...damit meinte ich, wohl nicht Eindeutig genug, die Unterastützung des Entwurfs durch Ornamente, Oberflächen(texturen), Farbgebung etc..
Das sollte man jetzt, auch als Theoretiker ;)verstehen :D
Grüße von der Front

jcr 28.10.2004 10:58

Theorie oder Ideologie ?
 
Ich komme gerade ziemlich frisch aus Rom zurück, woselbst ich auf der Piazza Farnese regelmäßig einen Cappuccino konsumierte. Nach Ihrer Argumentation also zählt beim Palazzo Farnese die reine Form, und alles andere, wie Gesimse, Konsolen, Kapitelle und also auch die Säulenordnungen, Textur des Ziegelmauerwerks, sind irrelevant? - die damit zusammenhängende Ikonographie? Beim Palazzo Farnese zählt also wahrscheinlich auch "ausschließlich" die "Form". Vielleicht können Sie es mir in diesem Beispiel genauer erläutern, ich bin außerordentlich gespannt, wie dieses Gebäude ohne "Zubrot" aussieht und wie man es erklärt.

Ihre Einschätzung hat, mit Blick auf die reiche Architekturgeschichte, allenfalls dann Geltung, wenn es sich um Bauaufgaben handelt, welche keiner Ikonographie bedürfen. Und selbst in diesem Fall stellt sich die Frage, wie Ihre durchaus apodiktische Ansicht begründet ist - oder ob es sich um das Aufwärmen einer mittlerweile rund hundert Jahre alten Ideologie handelt.

Ich bin, wohlgemerkt, durchaus kein Verfechter von "Reko".

Tiefton 28.10.2004 22:50

Ich finde gerade das Beispiel des Palazzo Farnese gibt mir recht.
Mal davon abgesehen das dieses Bauwerk keine Wiederlegung meiner
apodiktische Ansicht (das sehe ich im übrigen genau so wie Sie) darstellt,
denke ich das es sich noch nicht mal um außergwöhnlich gute (IMO) Architektur handelt--vom Alterskotext gelöst natürlich.
Die Verschiebung der Proportion des Bauhaus´
(Ich denke damit ist die hundert Jahre alte Ideologie gemeint)
und das Hineinheben in neue zeitgemäße Funktionalität hat die "objektivierbaren Kriterien" nicht nur ergänzt sondern weitesgehend abgelöst...man kann am "neuen Pomp" sogar eine 180° Wende beobachten.
..und das zieht sich durch die gesamte Kunst.
Gute Architektur ist in jeder Epoche gute Architektur, egal ob geschmückt
geschminkt oder ornamentiert.....und nicht so gute Architektur ist unter Zuhilfenahme von Gestaltungstechniken nicht in Gute zu verwandeln.
Man sollte die Vorzüge (und damit meine ich nícht nur die Funktion) in jedem
Maßstab erkennen können. Diese Einstellung hat sich seltsamerweise nicht durch das Studium der Bauhausmoderne sondern durch die intensivere
Beschäftigung mit dem 19Jhdt und der preussischen Bauauffassung herausgebildet.
Tiefton

PS: Das "Ausschließliche" in meinem vorangegangenen Beitrag sollte nur
ein <naja..das ist Geschmackssache> Kommentar verhindern:D ;) um diese
sehr interessante Fragestellung nicht zu verwässern.

EDIT: Das, zugegebener Maßen recht flüchtige, Betrachten Ihrer Entwürfe
verleitet mich zu dem Glauben, daß Sie meine Aufassung teilen (oder teilten), obwohl da aufgrund Ihres Alters bestimmt eine weitereichende Entwicklung auf Sie wartet.

jcr 29.10.2004 08:54

Eine Argumentation, die das Alter eines Diskutanten zuhilfe nimmt, zeigt m.E. allenfalls Schwäche. Schade, daß Sie nicht auf meine Diplomarbeit geklickt haben.

Wahrscheinlich haben wir nur unterschiedliche Auffassungen von Ornament, und ich räume ein, daß die römische Profanarchitektur ein etwas ungeschicktes Beispiel war. Wie halten Sie es mit der Loggia des Dogenpalasts in Venedig? Form oder Ornament? Wo endet die Form? Das Ornament des Vierpasses ist doch hier eindeutig untrennbar mit der Gesamtarchitektur verbunden...?

Die Entwicklung der "zeitgemäße Funktionalität" hat mit dem Verlust an Ikonographie zu tun. Das 19. Jahrhundert hat die Ikonograhie nur zum Teil durch ihren inflationären Gebraucht entwertet. Fest steht, daß es sich um einen Verlust handelt. In der Regel ist ein Diskurs unter Intellektuellen, wie er in der Vergangenheit ikonographisch vermittels Allegorien etc. geführt wurde heute auch in diesen Kreisen meist unverständlich geworden. Ich denke, daß man den Verlust auch als solchen begreifen sollte - und nicht ideologisch als "Befreiung". Wie Sie zutreffend erkannten, schlägt das Pendel zurück, zeitgenössische Architekten wie Hild und K oder B. Podrecca beziehen sich in ihren Aussagen wieder auf Sempers Bekleidungskunst - durchaus ein Gewinn.

Tiefton 01.11.2004 13:32

Zitat:

Originally posted by jcr
Eine Argumentation, die das Alter eines Diskutanten zuhilfe nimmt, zeigt m.E. allenfalls Schwäche. Schade, daß Sie nicht auf meine Diplomarbeit geklickt haben..........................
Natürlich spielen das Alter und die Erfahrung eine Rolle..(keine übergeordnete)
Ich bin übrigens 37 und beschäftige mich mit diesem speziellen Thema seit ziemlich genau 12 Jahren.
Die ersten Untersuchungen hatten den Ansatz: Können Computer gute Architekten bzw. Interpreten werden...?
Man sollte bei dieser Fragestellung mit einem zu vorschnellen NEIN vorsichtig sein..;)
Tiefton

..eine anregende Diskussion war´s

Henry 06.12.2005 21:40

Schulze-Naumburg
 
Zu dem Nazi und Rassisten Paul Schulze-Naumburg folgender Text (Original: MDR [ergänzende Angabe durch tektorum.de: http://www.mdr.de/geschichte/personen/139041.html] ):


Paul Schultze-Naumburg
(1869-1949)



Paul Schultze-Naumburg
Paul Schultze-Naumburg kam am 10. Juni 1869 als jüngstes Kind des Portraitmalers Gustav Adolf Schultze in der Nähe Naumburgs auf die Welt. Um eine Verwechslung mit einem Mitschüler auszuschließen, bekam schon sein Vater von einem Lehrer das Anhängsel Naumburg verliehen, welches er an seinen Sohn weitergab. Schon früh entdeckte Schultze-Naumburg seine Leidenschaft für das Zeichnen und die Natur. Er beobachtete seine Umgebung mit dem Fernrohr und fertigte Landschaftsskizzen an. Mit 17 Jahren begann er auf der Kunstgewerbeschule in Karlsruhe eine Ausbildung zum freien Maler. Seinem Interesse an der Architektur ging er während zweier Semester an der Technischen Hochschule nach.

Nach Abschluss seines Studiums 1893 zog er über München und Berlin 1900 wieder zurück in seine Heimat nach Bad Kösen. Hier widmete er sich der Malerei und gab seine ersten Bücher mit Titeln wie "Häusliche Kunstpflege" oder "Das Studium und die Ziele der Malerei" heraus. 1901 bekam der 32jährige seinen ersten Lehrauftrag an der Weimarer Kunstschule.

Zwischen 1901 und 1917 gab Schultze-Naumburg die "Kulturarbeiten" in neun Bänden heraus. Der Idee einer Verrohung der Lebensweise durch die fortschreitende Industrialisierung verfallen, veröffentlichte Schultze-Naumburg sie mit der Intention, "der entsetzlichen Verheerung unseres Landes auf allen Gebieten sichtbarer Kultur entgegenzuarbeiten". Um seinen Gedanken des "Verfalls der Baukunst" in das Volk tragen, bediente sich Schultze-Naumburg eines zum damaligen Zeitpunkt revolutionären neuen Stilmittels, das des Beispiels und Gegenbeispiels. Immer einem einheitlichen Stil folgend, setzte der Pädagoge Schultze-Naumburg ein in seinen Augen gelungenes Gebäude auf die linke Seite des Buches, ein korrespondierendes Gegenbeispiel auf die rechte. Um beispielsweise ein Gründerzeit-Haus als "Schwindelhaus" zu entlarven, welches "durch unnötige Zierde über den Status seiner Besitzer wegtäuscht und somit seinen Sinn verfehlt", setzte er diesem ein einfaches Gartenhaus aus der Mitte des 18. Jahrhunderts gegenüber. Seine Argumentation war durch diese Art der Bebilderung auch für Nicht-Fachleute leicht nachzuvollziehen.

Obwohl Autodidakt war Schultze-Naumburg bald ein begehrter Architekt des Großbürgertums und des Adels. Sein bekanntester Bau ist Schloss Cecilienhof in Potsdam, welches er zwischen 1913 und 1917 für das Kronprinzenpaar bauen ließ. Dass er während der für die Bevölkerung so elenden Zeit des Ersten Weltkrieges einen Palast mit 176 Zimmern errichtete, brachte ihm in der Bevölkerung keine großen Sympathien ein.

1904 gründete Schultze-Naumburg nahe seiner Heimat Naumburg die Saalecker Werkstätten. Nach sechs Jahren waren hier bereits 70 Angestellte in den Bereichen Architektur, Inneneinrichtung und der Anlage von Gärten und Parks beschäftigt. Das Anwesen wurde aber auch Treffpunkt reaktionärer Kreise, denen sich Schultze-Naumburg nach dem Ersten Weltkrieg immer stärker zugewandt hatte. Auch Adolf Hitler war lange Jahre Gast in Saaleck. 1930 löste Schultze-Naumburg wegen der schlechten Auftragslage durch die Weltwirtschaftskrise die Saalecker Werkstätten auf. Gleichzeitig erhielt er eine Berufung an die Weimarer Kunstschule.

An dem in den 20er Jahren entfachten Streit zwischen den Vertretern der Moderne um Walter Gropius und denen des Klassizismus beteiligte sich auch Paul Schultze-Naumburg als prominenter Vertreter des konservativen Geistes. Ungeachtet der Wohnungsnot und der realen Verhältnisse, entwarf er weiterhin Prachtbauten.

Die Weimarer Republik lehnte Paul Schultze-Naumburg als Anhänger der alten patriarchalischen Ordnung und der klaren Trennung in Eliten und Beherrschte ab. Als Mitglied der revanchistischen Deutschnationalen Volkspartei, war er eine treibende Kraft in aufkommenden Bewegung des Heimatschutzes. 1929 schloss er sich dem nationalsozialistischen "Kampfbund für Deutsche Kultur" an. Ein Jahr zuvor hatte er sein Buch "Kunst und Rasse" veröffentlicht, in welchem er eine Wechselwirkung zwischen "rassischem Zerfall" in der Gesellschaft und in der Kunst aufzuzeigen versuchte. Er verglich Selbstportraits alter Maler mit ihren Bildern und schloss dadurch auf deren "Rasse", um so die Entartung der Kunst aus der Entartung des Menschen herzuleiten: "Wir können heute genealogisch das Blut (Lukas) Cranachs nicht mehr feststellen, aber aus seinem Werk können wir erkennen, daß neben manchem Nordischen ganz sicher ein beträchtlicher Anteil ostischer Rasse in ihm gelebt haben muß. Denn sonst wäre es unerklärlich, (warum) sein gesamtes Schaffen von solchen Typen durchsetzt ist." Bildern der Moderne setzte er Fotos behinderter Menschen gegenüber; genau so, wie später bei der Ausstellung "Entartete Kunst" verfahren wurde. Wie gefährlich seine Ausführungen waren, wird durch seine weiteren Gedanken verdeutlicht: "Jeder Jäger weiß, daß er es den Füchsen verdankt, wenn er einen Bestand von besonders starken und gesunden Hasen im Revier hat, weil Reineke nämlich unbarmherzig jeden erwischt, der nicht ein sehr kräftiges Herz hat. (...) Auch der Mensch hätte einen Reineke sehr nötig, der unerbittlich den Schlechten reißt und damit verhindern würde, seine mindere Erbmasse auf zahlreiche gleichminderer Nachkommen zu übertragen." Das Buch wurde von der NSDAP, der Schultze-Naumburg 1930 beigetreten war, mit Begeisterung aufgenommen. Es ist als eine Grundlage zur Ausstellung "Entartete Kunst" anzusehen, an der er jedoch selbst nicht mehr beteiligt war. Aus dem konservativen Lebensreformer war ein Apologet des Rassismus geworden.

Am 1. April 1930 ernannte der neue nationalsozialistische Innenminister Thüringens Frick Paul Schultze-Naumburg im Alter von 60 Jahren zum Leiter der Weimarer Hochschule. In dieser Funktion entließ er nicht nur zahlreiche Lehrkräfte und vertrieb dadurch einen Großteil der Schülerschaft er erwirkte auch Verbote gegen Bücher und Theateraufführungen und ließ moderne Kunstwerke aus der Hochschule entfernen. Wegen seines "Vandalismus gegen die Moderne" schloss man ihn 1930 aus dem Künstlerbund aus. Nachdem sein Stern in der NSDAP gesunken war, drängte der Gauleiter Thüringens, Fritz Sauckel ihn im November 1940 schließlich aus dem Hochschuldienst heraus.

Vorangegangen war ein Zerwürfnis mit Hitler wegen des Umbaus des Nürnberger Opernhauses. Vom Führer verpönt, galt Schultze-Naumburg in der Günstlingsgesellschaft des Dritten Reiches ab sofort als „persona non grata". Er saß zwar seit 1932 für die NSDAP als Sachverständiger für Baukunst und Bildende Kunst im Reichstag, bekam aber von 1935 an keine größeren Aufträge mehr. Das prunkvolle Leben hatte mit dem Niedergang des Dritten Reiches auch für Paul Schultze-Naumburg ein Ende. Sein Haus wurde konfisziert, er wurde enteignet und erhielt keine Rente. Auf Almosen angewiesen und an Grünem Star erkrankt, lebte Paul Schultze-Naumburg in der Hoffnung auf eine Neuauflage seiner Bücher in Weimar. Am 19. Mai 1949 erlag er in Jena einem Krebsleiden.

Paul Schultze-Naumburgs "Kulturarbeiten" rechnet man bis heute zu den bedeutendsten Publikationen ihrer Zeit. Schließlich ist der dokumentarische Wert der Fotos unbestritten. Sein Ziel der späteren Jahre, durch rassische Reinheit der angeblichen Verrohung der Kunst entgegenzuwirken, ist jedoch glücklicherweise gescheitert.


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