tektorum.de

tektorum.de (https://www.tektorum.de/)
-   Entwurf & Theorie (https://www.tektorum.de/entwurf-theorie/)
-   -   Objektivierbare Qualitätskriterien?! (https://www.tektorum.de/entwurf-theorie/151-objektivierbare-qualitaetskriterien.html)

D.Hard 08.11.2002 14:14

Objektivierbare Qualitätskriterien?!
 
Mir ist während meines Studiums aufgefallen das die s.g. Lehrer
sehr viel schwafeln wenn es um diesen Punkt geht.
"Warum ist das gut?" ist eine legitime Frage an einen Entwerfenprofessor,oder? In der allgemein gebräuchlichen Literatur zu dieser Thematik findet man auch nur zwischen den Zeilen das ein oder andere objektivierbare Qualitätsmerkmal......welches dann sogleich von gnadenlosem Geschwafel umrahmt seine Wichtigkeit verliert.
Meine Frage: Wer hat vieleicht bessere Erfahrungen zu diesem Them machen dürfen...und wodurch. Literatur...Austausch mit anderen etc.
Postet mal etwas zu diesem Thema...........
D.Hard

todd64 08.11.2002 19:01

Nun mir wurde im Grundstudium schon beigebracht, wie man Qualität erkennt. Nicht unbedingt in einer Liste, die man zur Hand nehmen könnte und dann die Punkte A bis Z abhacken könnte, aber vorallem im Entwurf wurden Beispiele genannt:
Ein Beispiel: die Flexibilität eines Gebäudes. Es ist nie vorher zu sehen, wie lange der Zweck für den das Gebäude gebaut wurde erhalten bleibt. Wenn aber mit Weitsicht gebaut wurde, kann man das Innere problemlos anpassen. Sprich die "Nachhaltigkeit" (wichtiges wort im Leben eines Architeken :) ) ist ein Qualitätsmerkmal.
Viele andere Dinge sind natürlich schwer zu beurteilen. In den 70ern war man (die Architekten) von einigen Dingen überzeugt, wo man (auch aber nicht nur Architekten) heute die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Wer weiß wie z.B. das Sony-Center in Berlin in 15 Jahren gesehn wird. Viele finden es ja toll - für mich ist es vorsichtig ausgedrückt sehr fragwürdig!
Ich denke Architektur ist nicht Mathematik, da gibt es kein eindeutiges Richtig und Falsch.

Samsarah 09.11.2002 14:46

Re:
 
Ob ein Enwurf "objektiv" gut ist oder ein tatsächliches Gebäude sind für mich zwei verschiedene Dinge, sie unterliegen unterschiedlichen Kriterien. Wobei das Erste in jedem Fall den richtigen Ansatz für das Zweite beinhalten muß, aber vielleicht nicht immer ganz wörtlich zu nehmen ist.
Ich glaube in der Architektur geht es fast immer darum, den möglichst optimierten Kompromis zu finden. Man muß sich also erst einmal Fragen, wo man denn Prioritäten setzten soll. Für den einen ist die Funktionalität am wichtigsten, dem anderen geht es um die Fassadengestaltung, der dritte möchte unbedingt mit einem bestimmten Material arbeiten. Egal für was man sich entscheidet, irgendein anderer Aspekt wird dafür dann nicht 100%ig perfekt sein.
Aber wenn man jeden Aspekt für sich betrachtet, kann man schon ein gewisses Kriterium für Qualität feststellen, indem man sich fragt: Was will ich hier für eine Wirkung/ Funktion erzeugen? Was bin ich bereit, dafür in Kauf zu nehmen? Ist es mir gelungen, diese Wirkung/ Funktion zu vermitteln?
Am Schluß gilt es dann, diese Aspekte möglichst harmonisch zu einem Ganzen zusammenzufügen. Hilfreich für den Entwerfer sowie den "Erfasser" ist dabei immer eine gewisse Leitlinie, ein Thema, das alles miteinander verbindet. Das scheint auch immer Zielstrebigkeit auszudrücken - der Entwurf oder das Gebäude muß sagen: "Ich will etwas sein!" Das soll aber nicht heißen, daß es "schreien" muß. Es ist genauso legitim zu sagen: "Ich will ein einfaches, neo-klassizistisches Wohnhaus sein, das in 20 Jahren auch als Bürogebäude funktioniert, und deshalb bleibe ich unauffällig." Man muß sich eben immer nur über sein Ziel im klaren sein und möglichst alle Aspekte darauf hin ausrichten. Gelingt das, so ist ein Entwurf/ Gebäude in meiner Sicht auch gelungen. Worüber man streiten kann, sind dann die gesetzten Ziele, aber das ist eine recht konkrete Angelegenheit, wie ich finde.
Anhand eines solchen formulierten Zieles ist es auch viel leichter festzustellen, ob es sinnvoll oder gar geistreich gelöst wurde, oder ob jemand einfach nur wahllos images zusammengewürfelt hat.
Ohne Ziel jedenfalls bleibt Architektur eben eher eine Geschmackssache, und darüber läßt sich bekanntlich nicht streiten.

Sascha 25.01.2003 13:34

Hi,

das ist wirklich ein sehr schwieriges Thema. Wenn man es in Bezug auf den Städtebau der letzten Jahrzehnte betrachtet, ist es sehr augenscheinlich, wie schnell sich der Qualitätsbegriff wandeln kann. So war es nach dem Krieg in fast allen zerstörten Städten so, das die alten Blockstrukturen als unmenschlich und nicht lebenswert bezeichnet wurden und man grossräumige Häuserzeilen mit viel Luft und Grün als die wahre Lebensform glorifizierte. In den letzten 15-20 Jahren ist jedoch ein sehr starker Trend wieder hin zu den Strukturen der Jahrhundertwende zu erkennen, da man gemerkt hat, das eine Entmischung von Wohnen und Arbeiten mehr Probleme brachte, als sie eigentlich beseitigte.
In diesem Sinne, was heute "gut" ist, kann morgen schon wieder komplett widerrufen werden.

MfG Sascha

VUF 30.01.2003 12:41

Qualität ist messbar!
 
Die Qualität eines Bauwerks ist abhängig vom Standpunkt des Einzelnen. Der Investor will minimale Investition mit maximaler Rendite, der Architekt will berühmt oder reich oder beides werden, der Häuslebauer will ein Satteldach und einen Erker, die Nachbarn wollen ihre Ruhe.

Das ist dann alles erst mal sehr subjektiv, hat aber mit Architektur überhaupt nichts zu tun!

Architektur hat nicht so sehr viele Themen, mit denen sie sich auseinanderzusetzen hätte. Aber Architektur ist optimistisch - wenn man nicht glaubte, daß es eine (bessere) Zukunft gibt, wozu sollte man dann noch bauen ? Architektur ist nicht dazu da, sich damit zu begnügen, Moden, Dogmen und -ismen zu folgen oder Zustände zu konstatieren. Dafür ist sie im gebauten Ergebnis zu langlebig. Architektur ist aber auch Ausdruck unserer Zivilisation (nicht KULTUR) und Wertvorstellungen, nicht jedoch unseres technischen Vermögens. Technik ist ein Mittel, kein Selbstzweck. Viel Technik macht noch keine Architektur. Architektur hat Funktionen zu erfüllen die über Schutz vor Regen, Wind, Kälte, Hitze, Lärm und unerwünschten Einblicken hinausgeht - Funktionen, die auf kleinstem Raum auch ein Wohnwagen erfüllen würde. Architektur ist orts-, klima- und benutzergebunden im Prozess von Entstehen, Benutzung und Verfall. Es fängt bei der menschlichen Proportionierung der Teile an, und führt über Komposition, Material- und Funktionsgerechtigkeit zum Ästhetik- und Repräsentationsbedürfnis im Kontext des Bestehenden.

"...Architektur als Thema der Architektur..: Tragen und Lasten, Schwerkraft und deren Überwindung, Masse und Transparenz, Umschließung und Öffnung, Schutz und Preisgabe, Konzentration und Erweiterung, Sparsamkeit und Reichtum, Schatten und Licht, Kühle und Wärme, Stille und Klang, die Identität eine geprägten Raumes, der geduldige Umgang mit dem, was da ist, an den Orten und in den Köpfen." (aus: Wolfgang Pehnt; "Das Ende der Zuversicht"; S.91)

Vielleicht ist es mit der Architektur so, wie mit Schmuck: der Materialwert an sich sagt noch nichts aus über den Wert (nicht PREIS) der Brosche...

Ein sehr schönes Buch zum Thema "Qualität" ist: "Zen oder die Kunst, ein Motorrad zu warten".

Viel Erfolg !

(einen Tag später)

Die Frage nach Qualitätskriterien von Architektur ist mir über die Bettdecke gelaufen. Hier ist das, was mir noch dazu eingefallen ist. Vielleicht wird dadurch auch verständlich, was den Unterschied zwischen Architektur und Ingenieursbau ausmacht...


Größe

Die Maximalgröße eines Bauwerkes ergibt sich aus den natürlichen Beschränkungen der architektonisch richtig verwendeten Materialien (s. ?Materialgerechtigkeit?)


Raumgrenzen

Die Nichtabgrenzung eines Raumes führt zu seiner Auflösung.


Plastizität

Architektur ist dreidimensional. Flache Fassaden gehören auf´s Papier, nicht in die gebaute Umwelt.


Der Faktor Zeit

Architektur ist vierdimensional. Sie besteht im heute, morgen und übermorgen. Eine Fassade ist nur einmal neu. Sie bekommt entweder Patina oder sie wird schmutzig.


Materialgerechtigkeit

Man fängt bei der Materialwahl am ?unteren? Ende der zur Verfügung stehenden Auswahl an. Beton ist bestens geeignet, um hohen Druck aufzunehmen oder um in plastisch sehr bewegte Formen gegossen zu werden. Eine gerade Wand, die normalen Druck aufzunehmen hat, aus Beton zu erstellen, ist Unsinn.
Stahl ist dazu da, Zug aufzunehmen. Eine Stütze aus Stahl ist Unsinn. Eine Bogenbrücke aus Stahl ist Unsinn. Der Eiffel-Turm ist Unsinn.
Ähnlich verhält es sich mit Tragwerken, die aus ideologischen oder ästhetischen Gründen in Stahl erstellt werden, obwohl Holz für die zu überbrückenden Spannweiten ausreichen würde. Holz ist das einzige natürlich vorkommende Material, das in der Lage ist Druck UND Zug aufzunehmen. Laminat ist kein Holz.


Proportionen

Der Mensch und seine Proportionen sind das Maß für eine menschengerechte Architektur. Der Mensch im privaten Umfeld ist der Major, im öffentlichen Umfeld der Minor. (Ohne metaphysisch werden zu wollen: das öffentliche Umfeld ist der Minor einer höheren Macht...)
Der Goldene Schnitt entspricht in etwa einem Verhältnis von 1:1,618.
Dies wiederum entspricht annähernd der Fibonacci-Folge von 1:2:3:5:8:13:21:34.....
Menschen gehen aufrecht.


Bauteile

Das Tragende sollte im richtigen Verhältnis zum Getragenen stehen. Statisch ausreichend ist eben nur statisch ausreichend.

Eine Stahltür in einer Glaswand ist lächerlich.
Eine Glastür ist lächerlich.


Belichtung

Die Fensterflächen sollten 20% der Grundfläche eines Raumes entsprechen. Dabei ist ein Raum ausreichend natürlich belichtet, wenn die Raumtiefe höchstens das 1,5-fache der Fensteroberkante beträgt. Tiefer gelegene Räume benötigen (gegenüber gelegene Bebauung!) höhere Fenster. Man sollte in der Mitte eines Raumes sitzend den Himmel sehen können. Die ausschließlich künstliche Beleuchtung eines Raumes muss durch seine Funktion gerechtfertigt sein (Abstellräume, besondere Laboratorien, etc).


Fenster

Durch Fenster kann man heraus- und hineinsehen.
Fenster in Badezimmern sind nicht das Gleiche wie Fenster in Wohn- oder Schlafräumen. Das bezieht sich besonders auf Position und Brüstungshöhen.
Fenster im Erdgeschoss haben Brüstungen min. 200cm über OKGehsteig.
Auch Keller haben Fenster.
Türfenster müssen irgendwo hin führen.
Fenster ohne Sprossen sind leere Augenhöhlen und sehen aus wie ausgebombt.


Assoziationen

?Sieht aus wie ....?
Architektur provoziert keine Spitznamen.

Hilft das weiter ?

PFU 09.03.2003 02:00

Qualitätsmerkmale argumentativ entwickeln...
 
Seit ich registriert bin brennt es mir in den Fingern, mich zu diesem Thema zu äußern, ich habe mir jedoch bis heute Zurückhaltung auferlegt, zumal es seit dem letzten Beitrag leider nicht zu einem offenen Diskurs gekommen ist und die wenigen Einzelbeiträge somit zwangsläufig polarisierenden Charakter bekommen.
Die vielen Hits, die zu diesem Thema gezählt werden, lassen auf die Aktualität der Thematik schließen. In einem offenen Forum sollten Beiträge, die durch Oberflächlichkeit und Widersprüchlichkeit zu Verunsicherungen führen können, nicht postulierend stehen bleiben müssen.

Soweit zu meinem Bedürfnis, mich hier doch noch zu äußern.

Die ursprünglich gestellte Frage zielt nach objektiven Kriterien für ästhetische und funktionale Qualität von Architekturen in Gebautem und Entwürfen, die argumentativ entwickelt werden können und damit von "Geschmacksvorlieben" getrennt betrachtet werden müssen, bzw. (..in der Lehre...!!) sollten.

Eine Antwort auf diese komplexe Fragestellung kann nicht in der Betrachtung oder gar im Vergleich von "-ismen" gefunden werden, die sowohl in der Formfindung und der damit einhergehenden konstruktiven Lösung, als auch in der Materialwahl immer im epochalen Kontext gesehen werden wollen. Dies umso weniger, da "-ismen" sich zeitgleich epochal entwickelt haben und jeweils hervorragende Lösungen zu vergleichbaren Aufgaben gefunden haben.
Das Werk "Kahns" kann mit dem von "Aalto" verglichen werden, für beide OEvres werden sich Argumente für eine hohe ästhetische bzw. funktionale Qualität finden lassen. Krasser noch fällt z.B. ein Vergleich von Michael Graves`"Portland Building" und Fosters´"Honkong - Shanghai Bank", beide zeitgleich entwickelt und entstanden, aus.

Sucht man also nach Kriterien, die sich argumentativ erschließen lassen, so sind sie (-zunächst-) nicht in der Formen-, Konstruktions- oder der Materialwahl zu finden.
Das Material ist unschuldig. Die Form ist unschuldig. Man neigt mit Laotse und den Taoisten zu sprechen : "Das Tao ist formlos und vage. Es ist verborgen, geheimnisvoll und dunkel. Es ist der Ursprung aller Dinge". Um nicht abzuschweifen: Entwurfsansätze bei Wright beginnen mit Bezügen zum Tao.

Kriterien finden sich ebenso wenig im Ausschlußverfahren nach Neuffert : Eine Treppe darf nur für soundso steil sein, um "objektiv" zu funktionieren, es gibt genügend Treppen, die bei "üblichen" Steigungsverhältnissen nicht funktionieren, da die geometrischen Abhängigkeiten zwischen Vorderkante Auftritt und Geländer im Treppenauge nicht detailiert wurden. Und es gibt Treppen, die so steil sind und trotzdem funktionieren und ästhetisch keine Zweifel offen lassen.

Objektivierbare Kriterien für ästhetische und funktionale Qualitäten lassen sich durch eine interdisziplinäre Betrachtungsweise aller jeweils zur Frage gestellten Komponenten einer Aufgabe finden. Diese Fragen müssen bei jeder Aufgabe neu gestellt werden. Der Entwurf einer Kegelbahn stellt andere Fragen als der Entwurf einer Taufkapelle.

Die Antworten finden sich in den Bedingungen, die sich aus den jeweiligen Lösungsmöglichkeiten ergeben. Die Bedingungen interdisziplinär zu hinterfragen bedeutet, ihnen ungeachtet der reinen Funktionalität und einem rein ästhetischen Ausdruck Anworten aus den Bereichen der Psychologie, der Wahrnehmung und des Empfindens, der Soziologie, der Naturwissenschaften, der Proportionen und anderer Maße, der Rationalität und dem Irrationalen bis hin zur Utopie zu geben. Das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten mit ihren jeweiligen Bezügen zueinander, die sich bedingen, die abgefragt und hinterleuchtet wurden und wo die Antworten einer Argumentation standhalten, läßt letztendlich eine Aussage über die Qualität eines Entwurfs oder eines Gebäudes zu.

Eine Kegelbahn muß keinen transzendenten, sakralen Charakter besitzen, aber was das Beleuchtungskonzept, der Höhenversprung in der Decke und der Belagwechsel zwischen Spielbahn und Aufenthaltszone, die gestalterischen Maßnahmen zur begleitenden Raumakkustik für den Entwurf aussagen, und wie die Lösungen der Komponenten zusammenspielen, läßt eine Urteil über die Qualität zu. Ebenso bei der Taufkapelle: erfüllt sie den Anspruch nach Transzendenz, nach Sakralem in der Form- und Materialwahl durch Sichtbetonwände und ist dies argumentiv nachvollziehbar, so kann sie von hoher funktionaler und ästhetischer Qualität sein. Ob ich mein Kind dort taufen lassen würde, ist eine ganz andere Frage.

Und so ist es mit allem !

Die Gebäudelehre kann hier nur ansatzweise Lösungen vorstellen, die Baukonstruktionslehre, Baustofflehre und Tragwerkslehre bleiben "Lehren", die mit Leben gefüllt werden wollen. Es bleibt jedem Entwerfer, jedem Studierenden überlassen, wie weit er seinen Horizont, seinen Erfahrungsschatz vergrößert. Er kann jede Aufgabe mit einem "-ismus" totschlagen, und das kann zu qualitativ guten Ergebnissen führen, er kann aber zum ständigen Sucher und Zweifler werden, ganz nach Leonardo da Vinci : "Wer aufhört, besser zu werden, hat schon aufgehört, gut zu sein."

Für die Sucher und Zweifler unter Euch noch ein paar Links :

www.meisenheimer.de

Meisenheimer lehrt wohl auch Gebäudelehre und stellt hier seine Vorlesungsreihen zu den verschiedensten interdisziplinären Themen mit vielen Literaturhinweisen vor.

www.gbl.tuwien.ac.at

Ergänzend zu der Gebäudekunde an Eurer Hochschule mit interdisziplänerne Themen.

www.tg.ethz.ch

Für alle, die bezüglich Material und so weiter sich noch weiterbilden mögen.

www.aisthesis.de/index

Hier werden Bücher geführt, die mit zur allgemeinen Begrifferklärung bezüglich interdisziplinärer Themen beitragen können.

Nicht zuletzt gibt es noch ein ganz interessantes Heft von werk, bauen+wohnen ( 7/8-2002 ) über die "Zeitlosigkeit" in dem der Frage nach dem Zeitlosen in der Kunst und Architektur nachgegangen wird, dem Zeitlosen wird ja bekannlticherweise auch eine hohe Qualität nachgesagt.


Im Übrigen... Grüße aus dem wilden Süden


Samsarah 09.03.2003 13:40

Zitatschlacht? ;-)
 
Ich nehme PFUs etwas abwertende Äusserung über die "Oberflächlichkeit und Widersprüchlichkeit" der vorherigen Beiträge mal nicht als überheblich gemeint an, sondern als Provokation, uns zum Mitdiskutieren zu animieren ;-).

VUFs letzten Teil fand ich nicht wirklich hilfreich. Zum einen geht es um so ganz allgemeine Aussagen, auf der anderen Seite um eher unsinnige Wertungen, z.B. bei der Materialgerechtigkeit, die mir nicht nur subjektiv und auch falsch, sondern auch etwas polemisch erscheinen. Und dann wieder Qualitätsmerkmale, die mich an Ausschnitte der Länderbauordnung erinnern. Ich weiß, das war einfach erstmal eine Art Brainstorming, aber für mich gelten vieler dieser gemachten Aussagen absolut nicht, jedenfalls funktionieren sie nicht als allgemeingültige Qualitätskriterien.

Also bleibe ich mal bei dem, was PFU so geschrieben hat. Ich stimme Dir in den meisten Punkten zu, allerdings finde ich schon, daß man seine eigenen Ansichten auch mehr selbst formuliern könnte und nicht immer alles von großen Denkern leihen muß. Denn diese ganzen Zitate sind ja auch immer aus einem Kontext gerissen, den man nicht einfach als gekannt voraussetzen kann!

Was ich in meinem ersten Beitrag zu diesem Thema geschrieben habe, sollte auch nicht auf solche Kriterien wie die Funktion beschränkt bleiben. In jedem Fall MUSS sich ein Architekt mit einer Vielzahl von Themen auseinandersetzen und "Architektur hat nicht so sehr viele Themen, mit denen sie sich auseinanderzusetzen hätte" ist eine Aussage, die ich nicht unterschreiben würde.
Schon Vitruv beschreibt in seinen "Zehn Büchern über die Architektur", daß ein Architekt eigentlich von allem etwas wissen muß. Er muß im Kleinen ein Mediziner, ein Astronom, Ingenieur, Steinmetz... sein. Heutzutage leisten Kooperationen mit anderen Betrieben in gewisser Weise diese Zusammenführung von interdisziplinärem Wissen. Will man aber in der Umsetzung seiner architekonischen Ideen nicht immer von den Lösungsansätzen anderer abhängig sein, ist es besser man hat zumindest gute Grundkenntnisse auf diesen Gebieten.
Aber ich finde auch, daß es noch andere wichtige Gebiete gibt, die mehr über die Qualität aussagen können als funktionale Bereiche. Wie PFU schon erwähnt hat und ich auch in meinem Beitrag andeutete, ist die Wirkungspsychologie ganz entscheidend. Was lösen z.B. bestimmte Proportionen beim Betrachter aus. Hierzu gibt es sehr viele Abhandlungen aus dem 19. Jhd., z.B. Heinrich Wölfflins Dissertation "Prolegomena zu einer Psycholgie der Architektur" oder Edmund Burkes "Philosophische Untersuchungen über den Ursprung unserer Begriffe vom Erhabenen und Schönen". In einer Zeit, in der plötzlich das Metaphysische an Bedeutung verliert und die Aufklärung Platz für wissenschaftliche Erkenntnisse macht, sind erstaunliche Werke entstanden, die zum großen Teil auch heute noch Relevanz finden und zwar genau aus diesem Grund, weil sie sich mit der allemeinen Wahrnehmung, Psychologie und der Frage nach der Allgemeingültigkeit des "Schönen und Erhabenen" beschäftigen. Um die Wirkungen, Bedingungen und Lösungen zu finden, die ich als Entwickler meinem Gebäude/ Entwurf geben möchte, muß ich mich mit diesen menschlichen Gebenheiten auseinandersetzen, sonst ist die Wirkung eher eine zufällige - wenn man Talent hat vielleich noch intutitiv - aber eben Willkür.

Die Thematik, die VUF ansprach vom "Tragen und Lasten", ist natürlich die grundlegenste und die Reliefbildung in der Fassade bzw. die Dreimensionalität sind das Grundvokabular der Architektur. Aber ich würde sie auch als Grundvoraussetzung nehmen, um überhaupt von Architektur sprechen zu können, oder? Architektur ist Abgrenzung eines Raums vom unendlichen Raum, sie ist Fügung von Räumen und sie unterliegt den Gesetzen der Schwerkraft. Ohne diese Merkmale existiert sie nicht.

Das Thema ist einfach unglaublich vielschichtig und komplex. In der Lehre und auch bei vielen Studenten wird die Architektur jedenfalls viel zu oft nur als Objekt mit einer Fassadengestaltung begriffen. Im Städtebau mag das noch gelten, aber für eine gute Architektur zählt die Raumbildung mindestens genauso. Dabei, finde ich allerdings, ist die Form - also der Körper bzw. Raum - nicht unschuldig.
Ich wäre sehr dankbar, wenn Du (PFU) diesen Absatz aus Deinem Beitrag nochmal erläutern könntest. Er klingt zwar gut, aber er macht gerade in Bezug auf Deine späteren Aussagen noch keinen Sinn für mich. Vielleicht habe ich ihn nicht richtig interpretiert...


So viel für heute... aber es geht hoffentlich weiter!

Grüße aus dem verregneten Berlin,
Samy

holger 09.03.2003 19:54

just a note
 
hi,

es ist hier wirklich schon sehr viel gesagt worden und ich möchte
und kann auch deshalb den vorherigen ausführungen nichts wirklich
neues hinzufügen.
vor allem der letzte beitrag entsprach in hohem maße meinen gedanken
zum thema.

wie gesagt nur kleine anmerkungen:

zu VUF´s sätzen:

"Fenster ohne Sprossen sind leere Augenhöhlen und sehen aus wie ausgebombt.
Assoziationen
?Sieht aus wie ....?
Architektur provoziert keine Spitznamen."

das ist eine meinung. zwar eine bestimmt respektable. aber doch nur
eine meinung, denn:

- ob ich eine formale anspielung auf irgendetwas beabsichtige oder
lediglich karge zurückhaltung pflege hängt doch, meiner meinung nach,
sehr stark vom thema und von wünschen ab (die man natürlich auf eine
gewisse dauerhaftigkeit prüfen sollte, also nicht "fast food" wenn es nicht gerade um einen messestand geht!)

das mit dem ausgebombt entstammt doch auch sehr stark deiner vorstellungswelt, denn:

-wenn man nicht mit sprossenaufteilungen umgehen kann lässt man das
lieber, um dies nicht der umwelt zuzumuten, oder? (gibt zahlreiche beispiele für soetwas!)

abschließend für heute geht es mir eigentlich nur darum zu sagen, daß die
gestaltgebung schon mit einer gewissen "zeitlosigkeit" einhergehen sollte.

wie das jemand erreicht oder formuliert hängt doch auch in besonderem
maße von seinen erfahrungen(biographie) und gedankenwelten ab.
vielleicht ist es deshalb auch nicht unbedingt wünschenswert 24 jährige
karrieristen entwerfen zu lassen. das soll auch nicht heißen, daß 60 jährige
automatisch besser entwerfen!
aber ich sehe eine prozesshaftigkeit in dieser thematik, die halt etwas dauert.
schauen wir uns doch alle unsere ersten entwürfe heute nochmal an!


gruß holger

PFU 11.03.2003 19:29

Unschuldiges Quadrat---!
 
Hey Samy + Holger,

daß ich Euch noch mal anstacheln konnte über dieses komplexe Thema weiterführend zu diskutieren freut mich ungemein !! Das mit der "Oberflächlichkeit und Widersprüchlichkeit" war nicht auf alle vorherigen Beiträge bezogen, das hast Du, Samy, sehr richtig erkannt. Um nicht von der Moderatorin gerügt zu werden, habe ich versucht, meinen Unmut zu verpacken..., aber wenn die dann selbst eingreift, um so besser !!
Grundsätzlich : Die Aussagen von VUF haben mich nicht gestört, im Gegenteil, aber daß weiter oben fast täglich mit Dateiformaten und Plot-Stilen um sich geworfen wird (...schmuntzel !!!?) und ein so wichtiges Thema mit dem Beitrag von VUF bei einer so hohen Anzahl von HITS unkommentiert bleiben soll, also Leute, gegen dieses "Gefälle" mußte ich doch was tun !! Und ich hoffe nicht überheblich dabei rüber zu kommen.

Und nochmals zum Thema :

Ich bin falsch verstanden worden, wenn ich durch die These von "Unschuld" der Form + des Materials einen wertfreien, unreflektierten Umgang damit proklamiert haben sollte. Ganz im Gegenteil: Jeder verantwortliche Entwerfer muß Positionen beziehen !! Je klarer diese Positionen sind, um so vergnüglicher und ausgiebiger läßt es sich streiten !! Aber das hat mit guter oder schlechter Qualität vordergründig wenig zu tun. Ein Beispiel : Wenn Ungers das Quadrat im DAM / Frankfurt zu einem Stuhl vergewaltigt, kann das Quadrat nichts dafür, es ist schlicht und ergreifend "unschuldig" ! Ungers hat Position bezogen !!

Zu der Qualitätsdebatte mit möglichst "objektiven" Kriterien kommen nun die unterschiedlichsten Blickwinkel und deren Wertmaßstäbe hinzu, wohlgemerkt subjektive !! Ein puritanisch veranlagter Ästhet hat einen anderen als ein ergonomisch denkender Möbeldesigner. Die streiten sich trefflich, und wir zäumen das Pferd so von hinten auf, solange wir nicht selbst Stellung beziehen. Da gebe ich Dir, Samy, uneingeschränkt recht, "die eigenen Ansichten mehr selbst formulieren"..., wohlgemerkt subjektiv !!! Eine eigene Meinung zu einem Objekt (oder besser Subjekt...?), Entwurf, Gebäude zu haben ist jedoch etwas anderes als nach "objektiven" Kriterien zur Beurteilung über die Qualität der Arbeit zu suchen und sie zu formulieren.

Insofern wird jede Qualitätsdebatte subjektiv bleiben, solange ich mich Argumenten verschließe, die mich "von Außen" näher an die Sache, den Entwurf heranführen. Objektivität kann nur tangiert werden, wenn versucht wird, die Sache in ihrer Ganzheit zu erfassen. Die "subjektive Position" und die Umstände, die den Entstehungsprozeß begleiteten, näher zu betrachten, ist sicherlich der gängigste Versuch, wenngleich sehr fraglich. Diese Art macht mir den Entwurf verständlich und entschuldigt viel, weiter nichts. Man kommt zu dem Schluß, Ungers wollte gar kein Stuhl entwerfen. Thema verfehlt ? Als "Sitzobjekt im Kontext des DAM" hat Ungers´ Stuhl durchaus "objektive" Qualitäten, diesem Kontext entzogen wird es wohl kaum zum Verkaufsschlager auf der Kölner Möbelmesse und jetzt kommen wir der Sache näher : eben auch nicht zum Möbelklassiker !!

Zweifellos führen Gestaltungsmerkmale nicht alleine zu "objektiven" Kriterien für die Qualität einer Arbeit, es sind, wie schon gebetsmühlenartig wiederholt eben auch die interdisziplinären Fakultäten, die beim "von Außen" Betrachten helfen, analytisch und damit argumentativ, ich möchte fast sagen, "objektiver" zu Qualitätsurteilen zu kommen. Ein Borsolino ist nur in unseren Breitengraden ein Klassiker und ein Ford Mustang erscheint nur aufgrund seines V-8 Motors mit dem sonoren Klang als formschön. (...wobei letzterer wieder einen sehr subjektiven Qualitätscheck durchlaufen hat ).

Um zur Architektur zurückzukehren, die Begriffe von Form und Material sind bestimmt von Erfindungen, die unsere Wahrnehmungsweisen bestimmt und verändert haben. Sicherlich sind archaische, einfache Formen, und die Räume, die sie hervorbringen, eher dazu geeignet, als "zeitlos" bezeichnet zu werden. ( Hier noch mal zu Dir, Samy, Form ist nicht gleich Raum, die Form ist unschuldig, der Raum nicht, das ist mein Verständnis...! ) Dies weil wir in unserer Wahrnehmung den Archetypen mehr verhaftet sind. Symmetrische Hierarchie, goldener Schnitt und andere aus der Natur abgeleitete Proportionen sind nicht gewöhnungsbedürftig. Einer dekonstrukivistischen Architektur "Zeitlosigkeit" zuzuschreiben bedarf schon einem evolutionären Quantensprung des architektonischen Geistes. Insofern ist der Begriff der "Zeitlosigkeit" im formalen Erscheinungsbild nur bedingt in Verbindung mit Qualität zu bringen. Das gilt in selbem Maß auch für das Material.

Bevor ich mich wiederhole (...hab ich das nicht schon getan ? ) hör ich mal lieber auf, in der Hoffnung, daß Ungers mir verzeiht und daß jeder das Sitzobjekt kennt.

Ich werde jetzt aml ne Frage für die da oben bei der Darstellung vorbereiten, vorab, wie groß pixelmäßig ist am besten, wenn man bei 150pixel/inch was anhängen möchte hier ?


Ich hoffe, die Diskussion ist noch nicht am Ende, ansonsten

Grüße aus dem sonnigen Süden...

Samsarah 11.03.2003 20:02

Und es geht weiter.... morgen ;-)
 
Hi PFU,

ich hab einen wirklich geisteserschöpfenden Tag hinter mir und hoffe Du verzeihst, wenn ich mich erst morgen zum Thema äußern werde...

Wegen Bildanhängen - die maximale absolute Pixelgröße ist 1152 x 1152, die maximale Dateigröße beträgt 512 KB.
Bei 150 dpi wäre also ein Bild von ca. 19,5 cm x 19,5 cm drin, sofern die Dateigröße nicht überschritten wird...

Grüße aus dem immer noch lausig nassen Berlin....
Samy

Samsarah 24.03.2003 11:58

wie die Zeit vergeht...
 
Nun ist es doch mehr als eine Woche geworden. Ich muß mich entschuldigen - ich hatte heimatlichen Besuch in Berlin, der mich etwas in Anspruch genommen hat...

Ich möchte zum Thema zwei Aspekte nochmal vertiefen:

1. Die wiederholten Aussagen zu Schuld und Unschuld von Form, Raum, Material halte ich eigentlich nicht für relevant bzw. ich habe den EIndruck, sie bringen uns nicht wirklich weiter. Es geht nicht um Schuldzuweisungen. (@PFU: Das Form und Raum nicht gleichzusetzten sind sehe ich absolut genauso, da hast Du mich falsch verstanden). Mir ist schon klar, daß der gewollte Raumausschitt (Schmarsow) sicher eine "aktivere", künstliche Rolle übernimmt, während die Form dem Ursprung nach eher eine "passive" Angelegenheit zu sein scheint. In Bezug auf die Architektur ist sie aber genauso gewollt wie der Raum und damit "moralisch" gleichwertig, wobei - wie gesagt - dies für mich eben keine Frage der Moral sondern des objektiven Empfindens bleibt.
Objektivität erreiche ich nicht allein, indem ich meine ästhetischen Ziele mit meinem ästhetischen Empfinden vergleiche - nach dem Prinzip je höcher die Übereinstimmung, desto mehr Qualität. Vielmehr wäre die Frage für diesem Aspekt (ich beschränke mich jetzt mal auf die Ästhetik, gleiches ist aber natürlich auch für die vielfach erwähnten interdisziplinären Bereiche anzuwenden) herauszufinden, welche Erwartungs- und Empfindungsmechanismen denn "allen" (Ausnahmen gibt es natürlich immer...) gleich sind. PFU erwähnte z.B. den Glodenen Schnitt. Es gibt Studien die belegen, daß die meisten Menschen intuitiv ein Rechteck mit den Seitenvehältnissen des Goldenen Schnitts als das best proportioierteste auswählen würden (natürlich ohne es zu wissen). Genauso gibt es Studien zu Wahrnehmungsmechanismen des Auges, die für alle Menschen gelten, z.B. das es unserem Gehirn ausreicht einen Raum zu sehen, der aus nur drei aufgestellten Wänden besteht, weil die vierte Wand im Rücken steht und wir uns die Decke automatisch dazudenken.
Solche Mechanismen kann man bewußt einsetzten, z.B. ist das Dach der Neuen Nationalgalerie von Mies van der Rohe keineswegs gerade, es ist leicht geschwungen (übrigens auch die antiken griechischen Tempel). Für unser Auge erhält es dadurch aber eine besondere Perfektion.
Auch für gefühlte Temperaturen gibt es solche Werte, die im allgemeinen als besonders angenehm empfunden werden.
Wie auch immer, das sind natürlich nur winzige Teile eines komplexen Puzzels, die den Gesamteindruck ausmachen. Solche Gegebenheiten sind in der Regel nicht federführend in der "objektiven" Beurteilung, wenn sie aber überhaupt nicht berücksichtigt werden, scheitert das Ergebnis oft schon an diesen "Kleinigkeiten".
Das Problem mit diesen "objektiven" Meßwerten und Mechanismen ist aber auch, daß man dazu neigt, sie als einzige Kriterien für die Architektur zu sehen und dann einfach "nach Neuffert & Co." alle Bauvorschriften etc. abarbeitet und die übergeordnete architektonische Idee aus dem Auge verliert.
Wenn man aber den Anspruch erheben will, objektive qualitative Architektur zu entwickeln, müsste man vielleicht folgende These aufstellen: Je höher die Übereinstimmung meiner ästhetischen Ziele mit dem Empfinden des durchschnittlichen Betrachters/ Nutzers, desto höher die objektive Qualität.
Irgendwie widerstrebt es mir aber, Architektur auf diese kurze Formel zu reduzieren. Verbesserungsvorschläge sind gefragt!

Und weil ich ständig unterbrochen werde in meinem Versuch, meine Gedanken zu sortieren, habe ich den zweiten Punkt, den ich noch detailieren wollte, glatt vergessen. Vielleicht fällt es mir ja später wieder ein ;-).

Auf in die nächste Runde!

Mit sonnigsten Frühlingsgrüßen aus Berlin :-)
Samy

Rastrelli 29.04.2003 23:23

Paul Schultze-Naumburg hat auf diese Fragen vor hundert Jahren viele brauchbare Antworten gegeben, u.a. in seinen "Kulturarbeiten", aber auch in seinen sonstigen Büchern, wie z.B. der "Bau des Wohnhauses".
Zum Einstieg:
www.paulschultzenaumburg.de

Samsarah 30.04.2003 20:39

Da hab ich mich schon gefreut, daß unser Thema doch noch nicht "eingeschlafen" ist und finde hier nur einen Link auf die "Homepage" des Autors oder zumindest von ihm als solche im Profil angegeben.
Eigenwerbung zu plazieren ist ja schön und gut - auch wenn sie inhaltlich von Interesse sein könnte. Wenn Du Dich aber schon so offensichtlich intensiv mit diesem Thema und Herrn Schulze-Naumburg beschäftigt hast, wäre es doch für alle fruchtbar wenn Du statt eines Verweises auch wirklich Inhalte mitzuteilen hättest :D .

Grüße,
Samy

Rastrelli 30.04.2003 20:58

@samsarah
Finde Deine Antwort etwas neunmalklug, warum schaust Du nicht erstmal nach, anstatt mich hier abzuputzen. In der Homepage steht in der Tat sehr vieles , was manch' einem Studenten die Augen übergehen lassen könnte. Auf der Seite habe ich unter "Veröffentlichungen" sogar Fotokopien aus diesen Büchern abgebildet. Soll ich jetzt alles hier noch mal nachzitieren, weil Du keine Lust hast, Dir das anzusehen?
Vielleicht hättest Du ja auch erstmal warten können, bis die Kollegen sich geäußert hätten?
Als Administrator sollte man nicht so lang raushängen lassen, sonst verscheucht man seine Kundschaft.
Mit der Homepage will ich weder Geld verdienen, noch dient sie der Masche "Guckt mal, was ich für einen tollen Hund habe und wo ich im Urlaub war" und der Mann hat sich genau um die Kriterien gekümmert, die hier angesprochen waren.
Oder, falls Du mich immer noch nicht verstehst, vielleicht so herum:
"Guten Tag, Herr Goethe. Wir hatten keine Lust, Ihren Faust zu lesen, aber wo Sie gerade mal hier sind, können Sie uns ja mal 'ne kleine Zusammenfassung geben."
C'est ca.

Florian 30.04.2003 21:21

Ich bin mir sicher, dass neben Paul Schultze-Naumburg auch viele andere Theoretiker sich darüber schon gedanken gemacht haben, allerdings fänd ich es in einer Diskussion hilfreich, wenn die Meinungen der Theoretiker auch kurz dargelegt werden.
Theoretisch könnte man zu 99% aller Fragen damit antworten, dass die Antwort, bzw. eine Überlegung zu dem Thema in irgendeinem Buch steht, zur Diskussion trägt das aber wenig bei.
Wenn ein Student in der Uni ein Referat hält, soll er ja auch nicht einfach ein Buch vorlesen, sondern den Zuhörern entweder eine Zusammenfassung der Recherche bieten oder seine Interpretation (begründet) darlegen.

Grüsse
Florian

Rastrelli 30.04.2003 21:27

Lieber Florian, ich verstehe schon, was Du meinst. Nur bin ich Gott sei Dank kein Student mehr und kann machen, was ich möchte. Der Hinweis war als Hilfestellung und Neuorientierung gedacht, weil vor 50 Jahren ein Traditionsfaden gerissen ist und viele junge Menschen gar nicht wissen, daß es Praktiker und Theoretiker gab (Sch. NMB war beides in einer Person), die alles bereits einmal gesagt haben.
Wenn es aber jemandem zu viel ist, sich eine Internetseite anzuschauen, dann bin ich fast froh, daß ich beim Abfassen des Eingangstextes nicht zu viel Aufwand getrieben habe - get me?
Kauf Dir "Bau des Wohnhauses" und Du wirst später in der Praxis immer die Nase vorne haben (falls Du mal darauf Wert legst).
Beste Grüße zurück

Samsarah 30.04.2003 21:32

Hoppla
 
Wenn Du die Diskussion oben verfolgt hast, wird Dir aufgefallen sein, daß wir uns sogar angeregt haben, nicht nur diese ewige Verweiserei zu lassen, sondern seine Gedanken selbst zu formulieren und nicht immer nur von "großen Denkern" zu leihen - noch dazu aus dem Kontext gerissen. Der aktuellen Diskussion bringt das nur dann etwas, wenn sie auch - zumindest in Ansätzen - hier wiedergegeben werden.
Dir will hier niemand unterstellen, daß Du irgenwie berechnend auf den Link verweist, noch ist hier irgendwer zu faul, sich Informationen anzueignen (mußt ja nicht gleich persönlich werden, geschweige denn Dich gleich angegriffen fühlen, so ist das nicht gemeint).
Als Tutor in der Architekturtheorie bin ich sehr wohl vertraut - und im übrigen auch in Lage, falls Du daran Zweifel hast - mit der Literatur einer ganzen Reihe von Architekten und Theoretikern umzugehen - nun gerade aber nicht mit Schulze-Naumburg. Und als Moderator ist es auch meine Aufgabe, die Diskussion in eine sinnvolle Richtung zu lenken, und die wird nicht erreicht, wenn alle nur sagen "lies doch mal das Buch" oder "schau Dir mal den Link an".
Wenn Du willst, daß die von Dir (oder Schulze-Naumburg) angedachten Ideen hier diskutiert werden, dann solltest Du auch bereit sein, diese zu erläutern. Ansonsten müssen wir wohl vereinbaren, daß alle Texte erst gelesen werden, um sie dann zu besprechen.
Wir wollen hier einen lebendigen Dialog und keine Linkliste.

Natürlich kannst Du machen was Du willst, keiner zwingt Dich zu irgend etwas. Aber ganz ehrlich - wenn hier jemand etwas "raushängen" läßt, bin ich es wohl nicht.

Samy

P.S. Im übrigen habe ich mir die Seite auch vorher angeschaut.

Florian 30.04.2003 21:44

Danke für den Literaturhinweis, vielleicht schaffe ich es auch mal dieses Buch zu kaufen und (!) zu lesen.
Das Problem ist doch aber, dass man heute doch gar keine Zeit mehr hat alles zu lesen, was man wissen sollte und möchte. Als Architektur(student) müsste ich sämtliche Handbücher von irgendwelchen CAD, 3D, Graphik etc Büchern lesen, mich mit Gebäudetechnikliteratur, ökologischer Gebäudetechnik, TWL, Baurecht, Soziologie, Theorie und vielleicht sogar Geschichte befassen.

Zitat:

Der Hinweis war als Hilfestellung und Neuorientierung gedacht, weil vor 50 Jahren ein Traditionsfaden gerissen ist und viele junge Menschen gar nicht wissen, daß es Praktiker und Theoretiker gab (Sch. NMB war beides in einer Person), die alles bereits einmal gesagt haben.
Genau das ist der Punkt hier im Forum. Ich kaufe doch kein Buch, bei dem ich nicht weiß um was es geht. Übertragen auf eine Dikussion im Forum heißt das für mich, dass dieser Theoretiker mir vielleicht schmackhaft gemacht wird, wenn ich erstmal in einer Zusammenfassung etwas über seine Ideen und Gedanken erfahre.

Um effektiv zu studieren und zu arbeiten, muß man doch versuchen zu filtern. Wenn ich dann feststelle, dass die Theorie mein Ding ist, kann man vielleicht von mir erwarten, dass ich mich mit Sch. NMB intensiv beschäftige. Ich persönlich denke, dass ich mich zuvor erst nochmal richtig mit Vitruv, Alberti, Sitte und Co beschäftigen sollte...

Ich bin vielleicht nicht der einzige hier, dem die Arbeit mit Theorieliteratur nicht so liegt, deshalb interessiert mich das Thema aber trotzdem...

Grüsse Florian

Rastrelli 30.04.2003 23:45

Lieber Florian, Schultze - Naumburg äußert sich zum "Modernen Hausbau". Da steht alles drin, was ein Architekt bezüglich des Villen oder Einfamilienhausbaues wissen muß/sollte, um grobe Fehler zu vermeiden.
Die Klassiker sind natürlich auch nicht zu verachten, ich gestehe, auch nicht bis zu Vitruv vorgedrungen zu sein, weil es für mich mehr ein Hobby ist. Empfehlen kann ich Dir aber "Die vier Bücher zur Architektur" von Andrea Palladio, Artemis - Verlag , 4. Auflage 1993, ISBN - 3-7606-8116-5.
Ich zitiere aus Kapitel 10, Seite 232 (es geht um Brückenbau):
"Die über die Breite des Flusses gesetzten Pfeiler müssen gerade an Zahl sein, denn wie wir es auch bei der Natur beobachten, sind alle Dinge so angelegt, daß, wenn mehr als ein Ding eine Last zu tragen hat, es immer an der Zahl gleiche sind, wie bei den Beinen der Menschen oder der Tiere bewiesen. Zudem ist es in diesem Fall schön anzusehen und macht die Konstruktion widerstandsfähiger, da die Strömung des Flusses in der Mitte, wo sie naturgemäß - da am weitesten von den Ufern entfernt - am schnellsten ist, frei laufen kann und die Pfeiler durch das beständige Anschlagen des Wassers nicht zerstört werden."

Klares Denken - Klare Sprache - Klare Taten - Klare Ergebnisse

Beste Grüße

jcr 01.05.2003 07:43

1. Jeder hier lernt mindestens die Geschichte der Architekturtheorie, je nach Hochschule. etwas mehr und weniger. Sie können hier so viel zitieren wie Sie wollen und auf Seiten verweisen: sagen Sie und Ihre Meinung. Die interessiert uns. Das andere kennen wir entweder selbst oder besorgen es uns.

2. Wir wissen wo Sie herkommen: aus dem sog. "Forum für Traditionelle Baukunst, Rekonstruktion und Denkmalschutz", auf das ich hier freilich nicht verweise und wo Sie unter dem Namen "Schlüter" auftreten, ebenfalls munter zitieren und keinen eigenen Inhalt produzieren. Dort wurde unter anderem tektorum.de als ein zu missionierendes Forum aufgeführt, denn Beton Glas Stahl ist nur für einen "autistischen Insiderkreis" (Rastrelli alias Schlüter), und wenigstens wir als Studenten sollen nun zu ausschließlichen Putzfassaden mit Satteldach bekehrt werden. Früher war halt alles besser.

Fazit:
Sagen Sie Ihre Meinung in gesitteter, diskussionsfähiger Art und Weise (das genannte Forum ist in dieser Hinsicht kein Vorbild). Ansonsten brauchen wie Sie hier nicht.

Rastrelli 01.05.2003 08:25

Mit Deiner Hetztirade gibst Du Florian und Co. ja ein feines Vorbild.

jcr 01.05.2003 08:43

{ Als Beitrag zur Beruhigung des Forums habe ich meinen vorherigen Text entsorgt. Auf Rastrellis Beiträge werde ich nicht mehr eingehen, da ich in unsere jeweils eigene Fähigkeit zur Meinungsbildung Vertrauen habe. }


Einen Gruß,

Florian 01.05.2003 10:45

Bitte sachlich bleiben!
 
O.K. ich kann verstehen. dass Diskussionen auch mal hitziger werden, möchte aber darum bitten, wieder sachlich zu werden. Bisher bekam tektorum.de Komplimente über das z.T. hohe Niveau der Diskussionen und ich würde mir wünschen, dass diese Diskussionen nicht an Niveau verlieren. „ Hetztirade“ konnte ich hier noch nicht feststellen und wenn das was jcr schreibt nicht stimmt, dann kann man das ja in freundlicher Art und Weise richtig stellen.
Bisher gab es noch keine Diskussionen bei tektorum.de in der ein Admin eingreifen musste und ich wünsche mir, dass es so bleibt!

Florian

Samsarah 01.05.2003 11:20

Bei uns haben Satteldächer genauso eine Existenzberechtigung, wie Glaskisten. Solche Populistischen Bemerkungen - in die eine oder auch andere Richtung - sind doch eigentlich überflüssig und gehören vor allem nicht in die Diskussion um die Frage nach objektivierbaren Qualitätsmerkmalen. Ich bin gerne bereit, mich eines besseren belehren zu lassen, aber zugegebener Maßen ungern "von oben herab".

Also zurück zu Schulze NMB. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist das angesprochene Buch also eine Art Leitfaden oder vielleicht sogar Lehrbuch für vermeindlich gute Architektur. Dann wäre für mich - eher allgemein bezogen - die Frage, ob es denn überhaupt möglich ist, ein Leitbuch zu verfassen, daß objektiv betrachtet, wenn befolgt, automatisch zu guter Architektur führt.
Bei Leon Battista Alberti z.B., der zusammen mit Vitruv auch Inspiration für Palladios Werk war und dessen Traktat man als Lehrbuch betrachten kann, finde ich insbesondere den betont hohen Stellenwert des Ortsbezugs von Architektur bemerkenswert. Zumal er der erste ist, der darauf überhaupt eingeht. Er beschreibt eine "objektivierbare" Herangehensweise an die Gliederung eines Entwurfs, ohne dogmatisch zu werden und stattdessen gebührend auf die Umgebung des Gebäudes einzugehen. Dadurch relativiert sich das objektive Kriterium und bleibt dennoch immer gültig.
Bei Palladio wiederum ist faszinierend, wie er die Fügung von Räumen beschreibt und, im Gegensatz zu seinen Vorgängern (zumindest gibt es dazu keine Überlieferungen), in seinen Bauten tatsächlich anwendet.

Lehrbücher bzw. Traktate zur Architektur laufen immer Gefahr domatisch zu sein, und damit werden sie meiner Meinung nach formalistisch. Kann man sie dann noch als objektive Leitfäden heranziehen oder ist es dann nicht eher wahrscheinlich, daß man nur noch Architektur nach Schema A oder Schema B (Satteldachhäuschen oder Glaskiste ;) ) bauen würde?
Die "moderne" Kiste ist doch heute genauso nur noch nostalgischer Verweis auf eine Zeit die (zumindest in der Formsprache) ein knappes Jahrhundert alt ist, genauso wie es der Palladianismus war.
Wir müssetn es also einfach schaffen, die essenziellen, objektiven Kriterien aus solchen Traktaten herauszufiltern und auf unsere Zeit anzuwenden, ohne uns dabei auf die Formensprache von "damals" zu verlassen oder sie sogar mit dem objektiven Kriterium zu verwechseln. Geht das wirklich?

Samy

jcr 01.05.2003 12:15

PSNB
 
Zitat:

...Satteldächer genauso eine Existenzberechtigung, wie Glaskisten....
Eben das ist das Problem. Ein rasches Nachschlagen bei Kruft, H.W.: Geschichte der Architekturtheorie, München (4) 1995, p. 448 sagt uns:
"Einige dieser Architekten, die z.T. in erheblichem Maße publizistisch tätig waren, führten unmittelbar in die nationalsozialistische Kulturideologie hinein. Erwähnt seien Paul SNB (1869-1949), dessen "Kulturarbeiten" (1901-07) eine Bastion germanisierender Kulturpolitik bildeten".

Die Anmerkung 200 auf dieser Seite verweist gleich noch auf "Kunst und Rasse", München 1928. Freundlicherweise ist eine gescannte Seite auf der von Rastrelli erwähnten Seite enthalten (freilich war ich dort - man muß sich doch eine eigene Meinung bilden). Demnach befriedigt die Erklärung, "die Geschmäcker seien eben verschieden", nicht. Vielmehr sei eben die Rasse für die Architektur entscheidend, das Wort Rassenhygiene fällt. Mit einem Eingehen auf lokale, implizit rassenunabhängige Voraussetzungen wie bei Palladio hat dies nichts zu tun. Bei Palladio zählt nicht die Rasse, sondern der Bauherr und der Ort.
Die Differenzierung von PSNB auf der genannten gescannten Seite zwischen dem diesseits der Alpen befindlichen Langschädel und dem südlichen Breitschädel und den damit verbundenen architektonischen Implikationen wirft dann Fragen für den transalpinen Kulturtransfer auf, - vermittelte doch Algarotti, wenn ich mich recht erinnere, an den sächsischen König Bilder von Canaletto. Demnach ist wohl "rassenhygienisch" die Frauenkirche abzulehnen? Ob Rastrelli nun dafür ist oder nicht lasse ich dahingestellt.

Eine dekontextualisierte, formalisierende Loslösung von gebauter Architektur und dahinterstehender Ideologie ist unzulässig. Die SS-Siedlung Zehlendorf ist und bleibt eine SS-Siedlung, im lebendigen Kontrast zu "Onkel Toms Hütte". Es ist die Frage, bis zu welcher Detailebene die Ideologie die Architektur beeinflußte.
Als Kuriosum taugt das theoretische Werk von PSNB sicher und ist für den historisch interessierten Menschen wahrscheinlich auch lesenswert, ein objektives Qualitätskriterium stellt die "Architekturtheorie" von PSNB demnach nicht dar, vielmehr wird aufgrund der rassentheoretischen Basis eine Exklusivität des Satteldachs für den nordeuropäischen Sprachraum in Anspruch genommen. Ein Flachdach ist damit, analog zu der Diffamierung der Weißenhofsiedlung als "Vorstadt Jerusalems" (Paul Bonatz), abzulehnen. Ich deute hier das eingangs erwähnte Zitat Samsarahs an.

Als ob die Moderne keine Tradition hätte! Dies fällt mir immer wieder ein, wenn ich von "traditioneller" Architektur lese. Wie definiert sich die architektonische Tradition? Endet sie mit dem Jahr 1900, mit dem ersten Flachdach nördlich der Alpen, mit den Glaskisten der Gotik, von der ich immer so wenig lese bei der ganzen unsäglichen Diskussion?

Samsarah 01.05.2003 12:42

Meine Anmerkung zur Existenzberechtigung war nicht von Idealistischer Natur getränkt. Kurz gesagt - ich hatte ja keine Ahnung, welchen historischen hintergrund SNMB hat. Grundsätzlich wollte ich damit nur zum Ausdruck bringen, daß hier im Forum nicht sortiert wird nach Bauweisen und Bauvorlieben.

Stellt sich die konkrete Frage an Rasterelli, ob es hier um die Verbreitung von nazionalsozialistischem Gedankengut geht? Oder ob - dahingestellt, ob man das für legitim hält oder nicht - er Ideologie und Bauweise doch getrennt wissen will... Ersteres würde unsere Toleranzgrenze nämlich deutlich überschreiten!

@jcr: Würdest Du Deinen letzten Absatz nochmal etwas ausführen. Ich denke zwar im Grunde Deinen Ansatz verstanden zu haben, wäre aber für etwas mehr Detail dankbar, um Mißverständnisse zu vermeiden.

Grüße,
Samy

jcr 01.05.2003 13:07

Zitat:

Als ob die Moderne keine Tradition hätte! Dies fällt mir immer wieder ein, wenn ich von "traditioneller" Architektur lese. Wie definiert sich die architektonische Tradition? Endet sie mit dem Jahr 1900, mit dem ersten Flachdach nördlich der Alpen, mit den Glaskisten der Gotik, von der ich immer so wenig lese bei der ganzen unsäglichen Diskussion?
Ich versuchs mal. Wenn wir Bewahren von Tradition als das Fortschreiben des Überkommenen verstehen, was ist dann unter diesem zu subsumieren, bzw. wo ist die Grenze zu ziehen (Tradition bezieht sich ja zeitlich zwangsläufig auf etwas von den Vorgängern übernommenes, "in der Tradition von..."). Das, was man pauschalisierend als Moderne bezeichnet, gibt es seit 100 Jahren. Nun ist die Frage, ob nicht zeitlich bedingt die Fortschreibung der Moderne in ihren baukonstruktiv-formalen-materiellen Aspekten einen gewissen Traditionscharakter angenommen hat. Insofern muß die "Traditionelle Architektur", die mancherorts gefordert wird, in eben jenen Aspekten differenziert und detailliert werden: Material nur Holz, Mauerwerk, Naturstein, Putz in allen Ausprägungen, nur geneigtes Dach, überkommene Formen von Dekoration. Vereinfacht: Ich kritisiere die Verwendung von "Tradition". Wo fängt sie an? in der Antike? wo endet sie? Meines Erachtens zählt freilich die Moderne mittlerweile zur Tradition. Baukonstruktiv-materiell tut sie das sowieso, auch in der "trad. Arch.". Wenn der Stuck drauf ist, interessiert es schon nicht mehr, wenn dahinter Beton ist.
Gotik: Mit Ausnahme von Leipzig-Paulinerkirche (deren Rekonstruktion meist eh nur mit dem Verweis auf die Sprengung durch Ulbricht versucht wird zu ledigimieren) liest man in den diversen einschlägigen Foren nur ein Loblied auf den Abschnitt von der Renaissance zum Klassizismus und der Gründerzeit. Es stellt sich mir die groteske Frage, inwieweit die Gotik in manchen Teilen schon wieder zu modern im Sinne von ornamentlos ist (freilich nicht der Mailänder Dom). Betrachtet man die Fassaden des Querschiffs von Chartres, kann man angesichts der relativen Schmucklosigkeit und Reduktion der oberen Geschosse auf tektonische vertikale Elemente in Form von Diensten den m.E. ungemein progressiven Charakter nicht leugnen. Gleichzeitig ist es eine gewisse Schmucklosigkeit in Kirchen, die ihren Glasfenstern beraubt wurden, für diejenigen, die sich gerne an Säulchen und Fassaden erfreuen (das tue ich auch in Abhängigkeit von Qualität und Zustand) etwas zu wenig, zu viel an Raum und zu wenig an Dekoration. Vielleicht täusche ich mich gerade auch massivst, und die Gotik ist nur zu wenig typisch-deutsch und es wurde zu wenig Gotik zerstört, die jetzt wieder rekonstruiert werden könnte.

Vom Ursprungsthema sind wir jetzt aber etwas weg....

Gruß,
jan

Samsarah 01.05.2003 13:20

Gut, daß Du es nochmal erläutert hast. Ich war nicht ganz sicher, auf was sich bei Dir die Verwendung von "Tradition" bezog.
Im Grunde meine ich auch, daß der Begriff der "Tradition" viel zu sehr eingeschränkt wird. Und den Fehler, den die Modernisten gemacht haben - nämlich alles zuvor Gewesene zu negieren - , den sollten wir heute vermeiden. Ob wir deswegen aber nur noch in die Vergangenheit blicken sollten, halte ich für genauso fraglich.
Zu historischen Rekonstruktionen kann ich nichts beitragen. Damit habe ich keine Berührungspunkte. In der Tat scheint aber die Gothik irgendwie im Gemenge des historischen Bewußtseins unterzugehen.

Aber Du hast recht, diese Diskussion gehört vielleicht eher in einen anderen Themenbereich...

Grüße,
Samy

TomHansche 11.06.2003 04:53

RE: Objektivierbare Qualitätskriterien?!
 
Als schlichter Architekturkonsument bzw. als potentieller Architekturbanause (ich bin kein Architekt und werde auch keiner) biete ich hiermit folgenden Senf feil:

Antwort A) : Man lese ordentlich viel Artikel und Bücher von Manfred Sack.

Begründung: Ich habe bislang bei (fast) jedem seiner Schriften den Eindruck gewonnen, dass er nicht nur flott schreibt, sondern seine Architekturkritiken weitestgehend auf objektiven Kriterien gründet und diese dann auch offen legt.

Antwort B) : Fallstudien/Exempel guten und schlechten Bauens (nebst Diskkussion).

Begründung: Nach einem leidlich heftigen Streitgespräch mit einer Architekturstudentin (Stichworte: Historismus, Schmuckelemente, Disney-tum, Formalismus, Kitsch) kamen ich und meine Kontrahentin schnell darauf, dass konkrete Beispiele oft mehr taugen als schnell dahin geworfene Begriffe. Oder anders gesagt: Achitektur und ihre qualitative Bewertung ist eine reichlich komplexe Sache, bei der die Orientierung an Beispielen hilfreich sein kann.

Vorschlag: Als Exempel für "gute" Architektur: Münchner Olympiastadium, Schulbauten und Landhäuser von Fritz Schumacher, Harburger Uni-Gelände, "Potzdamer Platz", Teile der Dulsberg-Siedlung in Hamburg und ihre vorbildliche Durchgrünung. Exempel für "schlechte" Architektur: Die Neubauten in der Friedrichstraße in Berlin, seelenlose Wohnsilos, viele moderne (?) Innenstädte mit ihren austauschbar-öden Gestaltungen.

Antwort C) : (Ein Versuch von mir)

1. Bauqualität
1.1. Souveräner Umgang mit Baumaterialien
1.2. Nachhaltigkeit/Stabilität
1.3. Erfüllung ökologischer Kriterien
1.4. Bauausführung
usw. usf.

2. Funktionalität
2.1. Funktionalität für Nutzer
2.1.1. Flexibilität der Nutzung
2.1.2. Angemessene Durchlichtung
2.1.3. Schönheit der Innenraumgestaltung für die Nutzer
2.1.4. Zweckgemäßheit
usw. usf.
2.2. Funktionalität für Investor(en)
2.2.1. Geringe Unterhaltungskosten der Bausache
2.2.2. Repräsentativ-Funktion als Attraktion für pot. Mieter
2.2.3. Gutes Preis/Leistungs-Verhältnis
2.2.4. Zeitdauer der Errichtung (kann m.E. mit Entwurf zusammen hängen)
usw. usf.
2.3. Funktionalität für externe Architekturnutzer (z.B. Anwohner)
(dazu gehört u.a. auch die Schönheit und Einpassung in die Umgebung)

3. Schönheit (möglichst zeitlos...)
3.1. Verzicht auf überflüssige Gestaltungselemente (was aber ist das?)
3.2. Stilvolle Verwendung angemessener Schmuckelemente (s.o.)
3.3. Durchgrünung der Innen- und Außen-Anlage
3.4. Gute Rhythmik bei horizontalen und vertikalen Gestaltungselementen
3.5. Originelle bzw. abwechslungsreiche Gestaltung
3.6. Messbare Schönheit (ermittelbar z.B. mit Befragungen) für Bauträger, Nutzer und Anwohner oder (wissenschaftlich fragwürdiger) für Juroren in Achitekturwettbewerben oder (noch fragwürdiger) für Bauverwaltungen oder Politiker

Anmerkung: Genauso wie es in der Musik sogenannte "Hörgewohnheiten" gibt, die die ästhetische Wertung prägen (und teils Moden bzw. schnellen Wandlungen unterworfen sind), gibt es Architektur-Rezeptionsgewohnheiten, die u.a. regional und durch die Profession geprägt sind. Damit will ich sagen, dass der bereits der regelmäßige Umgang mit Architektur deren Wahrnehmung prägt. Ein Architekt wird daher schnell andere (höherwertige?) Maßstäbe entwickeln als die übrigen Architekturkonsumenten, welche sich ggf. ernsthaft für Krüppelwalmdächer, Sprossenfenster, verschnörkelten Fassaden oder gar Fachwerke begeistern, wo der Architekturprofi i.d.R. abstraktere Ausdrucksformen bevorzugt.

4. Soziohumane Dimension
4.1. Einbettung in die Umgebung / lokale Tradition
4.2. Wirkung für die Lebensqualität eines Quartiers
4.3. Wohlfühl-Wirkung auf Nutzer und Anwohner. Dazu zählt z.B. "Freundlichkeit", "Strenge" vs. "Verspieltheit" und, sicher auch, "Gemütlichkeit"
usw. usf.

Anmerkung: Den "Wohlfühlfaktor" halte ich für einen immensen und verkannten Wert in der Architektur. Ich halte diesen Faktor für so bedeutsam, dass ich unter diesem Aspekt sogar Fachwerke an modernen Bauten hinzunehmen bereit wäre. (ähm, hier bin ich mir selbst zu tolerant. Ich kann Fachwerke nicht ertragen)

Zum Schluss ein Aspekt zur Kriterienbalance: Eine interessante technoide Gestaltung (z.B. Hongkong&Shanghai-Bank von Norman Foster) kann anderweitige Mängel mehr als aufwiegen. Und: Viele in Architekturmagazinen gefeierte Corbusierbauten in Berlin sind baufälliger, nahezu unbewohnbarer Schrott, was m.E. nicht nur eine Frage der Bauausführung ist. So gesehen, bleibt es immer schwierig, objektiv über Architektur zu urteilen. Jedes Kriterien und jede ästhetische Theorie stellen nur einen kleinen Teil eines Gesamturteils dar.

Letzlicher Maßstab für Architektur ist m.E. immer der Mensch. Die bewusst bombastisch-monströsen Architekturformen der Naziherrschaft (und anderen totalitären Regimen!), monoton-graue Wohnwürfel sowie auf Eindruck getrimmte, brutale formale Übertreibungen moderner (?) Investorenbauten empfinde ich im Trend als unmenschlich bzw. gegen das menschliche Maß verstoßend. Achitektur, die den Menschen einschüchtert finde ich im Grundsatz "schlecht". Architektur soll dazu dienen, dass sich Menschen wohl fühlen können. Insofern muss meiner Meinung nach gute Architektur gleichermaßen utopisch wie traditionell sein.

jcr 12.06.2003 14:54

Zitat:

Man lese ordentlich viel Artikel und Bücher von Manfred Sack.
Huh.....gutes Stichwort! Kann ich nur zustimmen. Und auch ansonsten : warum gibt es nicht mehr von Deiner Sorte?


Gruss,

D.Hard 21.06.2003 18:45

hmmm
 
Wie ich schon erwähnte wird viel vokabular herangezogen und auf die Geschichte verwiesen...
Ich denke es steht trotz einiger wohlbedachter Beiträge noch einiges an
Grundlagenermittlung an.....denn es gibt sie die OBJEKTIVIERBAREN KRITERIEN...
D.Hard

TomHansche 02.08.2003 06:37

Ergänzung
 
Als Ergänzung zu meinem Versuch einer systematischen Antwort auf das Threadthema liefere ich hiermit Punkt 4.4 nach:
4.4. Beitrag zur positiven Identitätsstiftung für Nutzer, Anwohner, Quartier, Stadt u.ä. :)

Auch wenn sich "meine" Kriteriensystematik im Grunde genommen recht stark an Vitruv orientiert (was ich für keine Schande halte) möchte anmerken, dass ich die Kriteriensystematik nicht grundlos gestaltet habe. Sie steigert sich von der Bauqualität (Punkt 1) über die funktionale Qualität (Punkt 2), dann über die Schönheit (Punkt 3) hin zur soziohumanen Qualität (Punkt 4), der m.E. höchsten Form von Architekturqualität.

Es ärgert mich vor diesem Hintergrund (auch wenn ich Architekturlaie bin), dass mir das Stichwort "Identität" nicht gleich eingefallen ist, denn ich halte es für eine sehr hohe, m.E. zu selten erreichte, Form von Architekturqualität, wenn ein Bauwerk im positiven Sinn Identität stiftet. Damit meine ich nur am Rande die Qualität eines Denkmals oder einer Sehenswürdigkeit (was ja besonders identitätsstiftend wäre), sondern ich meine vor allem die spezifische Qualität, dass Bewohner mit Freude und in Unterscheidung zu anderen Orten sagen können: "Mein Quartier", "mein Kiez" oder "unser Haus".

Möglicherweise ist das Identitätskriterium neben dem "Wohlfühlen" von Nutzern und Anwohnern (Punkt 4.3.) sogar geeignet, die prinzipielle Geisteshaltung eines Architekten an entscheidender Stelle auf den Punkt zu bringen:

Wem dient die Architektur?

Mitunter kann man - besonders wenn man theoretische Debatten verfolgt -den Eindruck gewinnen, dass manche Architekten oder Architekturtheoretiker nur die eigene Identität im Auge haben.

Bei manchen jungen Architekten wiederum habe ich den Eindruck, dass diese aus Angst vor professionellem Spott bzw. aus Ehrfurcht vor Architekturdogmen auf die eigene Handschrift verzichten oder darauf, ein Bauwerk gemäß den Interessen von Nutzern und Anwohnern zu gestalten.

Da die Diskussionen zum Boardthread im Augenblick etwas lahm sind, erlaube ich mir die Frechheit, zum Abschluss etwas polemischer zu werden und eine (reichlich) überspitzte These zur Diskussion zu stellen:

Wenn die akademische Architekturausbildung dazu beiträgt, dass Architekten Angst vor Schönheit, Angst vor Originalität oder gar Angst vor einer Architektur entwickeln, die sich radikal an den Interessen der Nutzer und Anwohner orientiert, dann wäre es angebrachter, Angst vor der akademischen Architekturausbildung zu entwickeln.

VUF 03.08.2003 19:13

Ja! Aber welcher Abiturient stellt sich diese Frage denn?

Angst muss man nur vor den Architekten (und später: Professoren) haben, die durch dieses Studium entstehen:
Einzelkinder planen Mehrfamilienhäuser, Endzwanziger Altersheime, Autofahrer Bahnhöfe, Kinderlose Kindergärten, Vorstadtbewohner Stadtquartiere - nicht für die Menschen, wie sie sind sondern wie der Architekt/die Architektin sie gerne hätte - mit den Minimalmaßen aus "Schneider" oder "Neufert". Die Architekten sollen Lösungen entwickeln für Probleme die es seit tausenden von Jahren gibt - aber unter keinen Umständen mit den Mitteln, die das seit tausenden von Jahren schaffen.

Da wird die Konstruktion wichtiger als der Raum, der dadurch entsteht. Da stellt sich die Frage nach der "Entwurfsidee" und nicht die nach der praktischen Benutzbarkeit. Interessant sind immer nur die Erstellungs-, nie die Unterhaltungskosten geschweige denn die Lebensdauer. Die Dachentwässerung entscheidet über Tür- und Fensterpositionierung. Geplant wird für die erste, nie für die zweite oder dritte Benutzergeneration. Die Architekten reagieren zwar gezwungenermaßen auf gesellschaftliche Veränderungen (Kinderlosigkeit, Singlehaushalte,...) durch (investorengesteuerte) Planung kleinerer und Single-Wohnungen - machen dadurch aber auch die Rückkehr zu Kindern und selbsttragender Mehr-Generationen-Familie unmöglich. Gebäude werden (bestenfalls) zum minimal-ästhetischen Selbstzweck - normalerweise nur zum Sanierungsfall.

Und der akademisch geschulte Baukünstler weiss, unantastbar zu sein: Schuld haben der Auftraggeber, der Kostendruck (außer, wenn es um öffentliches Geld geht), der Planungsaufwand, Bürgerinitiativen, die Zeit, der "Zeitgeist", die Mode, die Politik, der B-Plan, der Denkmalschutz, das Wetter, die Umweltschützer und was sonst noch - all das, was (bequemerweise) im Wege steht, endlich die perfekte, weltbefreiende, den Hunger besiegende und universal gültige Endlösung in Stahl, Beton und Glas erschaffen zu können. Architektur, zu enden alle Architektur!

"Mit gutem Beispiel vorangehen kann jeder - aber gehen Sie mal mit gutem Beispiel zurück."

sid 30.01.2004 03:39

objektivierbare
 
hallo,

hier kann man architektur-grundlagen-archäologie betreiben?

um eine einigermassen anständige diskussion zu diesem thema zu führen, sollte man etliche unterthreads einführen. oder ist die frage nur die, ob es jene kriterien gibt? ja! aber nicht aus architektenhand. da fragt man besser wissenschaftler, die sich mit dem menschen an sich und im engeren sinne beschäftigen. ohne zu differenzieren wird man allerdings keine zufriedenstellende antwort erhalten, denn jede art von gebäude wirft diese frage auf. für jede gebäudeart gibt es eine andere sicht.

nur die grundsätzlichen fragen stehen am anfang aller gebäudeentwürfe.
als antwort gibts zum einen das baugb und die landesbauverordnungen, zum anderen die uralten dinger wie proportions-, farb- und wasweißichlehren. außerdem kann man sich noch mit den bautraditionen anderer kulturen auseinandersetzen.

jetzt noch eine erbsenzählerfrage, sind qualitätskriterien objektivierbar, und wenn ja, wer hat die macht dazu?

Samsarah 30.01.2004 13:29

Mit Macht hat das wenig zu tun. Vielmehr mit der Frage, ob man sich auf einen gemeinsamen Nenner einigen könnte. Gibt es Ansichten, die alle (oder viele) teilen? Gibt es Wirkungsformen, die grundsätzlich funktionieren? Vielleicht muß man sogar nach einer Art Main-Stream in der Architektur forschen? Objetivität bleibt bei dieser Definition dennoch relativ und ist sicher kein absolutes Maß. Aber sie könnte in dieser Form vielleicht eine Entscheidungsgrundlage bilden.
Und wie sid schon gesagt hat, stellt sich die Problematik für jeden Ort und jede Aufgabe neu und es gibt unzählige Wege der Herangehensweise. Dennoch gibt es Fragestellungen, die immer wieder auftauchen. Und darüber kann man auch konkret diskutieren, oder?

Auf in die nächste Runde?!
Grüße,
Samy

VUF 18.06.2004 10:09

Ein indisch-amerikanischer Architekt hat mir "Qualität" letztens so erklärt: Die Qualität einer Architektur bestünde darin, wie gut sie dazu geeignet sei, Menschen ihr alltägliches Leben zu ermöglichen.

Das alltägliche Leben wird natürlich durch die jeweilige Kultur bestimmt. Jedoch durch die eigene und nicht so sehr durch fremde Kulturen. (An dieser Stelle frage ich mich immer, ob deshalb so wenige Menschen ein Musikinstrument spielen, weil das nicht unserer Kultur entspricht oder weil man zu Hause nicht üben kann, ohne der eigenen Familie und den Nachbarn auf die Nerven zu gehen? (Wenn es letzteres ist, liegt es an der Architektur...) Aber "Kultur" ist der Zivilisation definitiv untergeordnet. ("Zivilisation" im Sinne von Kants Kategorischem Imperativ) Und eine Kultur, die sich nicht an die Regeln der Zivilisation hält, ist Barbarei. Die Gefahr besteht darin, dass wir bereit sind, die Zerstörung der Zivilisation durch die Kultur zu tolerieren, gerade WEIL wir - zivilisationsbedingt - so tolerant sind.

Hat hier schon mal jemand Christopher Alexanders "A Pattern Language / Eine Mustersprache" gelesen? Oder Léon Kriers "Architektur - Freiheit oder Fatalismus"?

Was sind wir also bereit, anderen Menschen durch unsere Entwürfe in der Zukunft zu ermöglichen? Wie weit spielt unser Menschenbild dabei eine Rolle? Und - wenn wir uns tatsächlich in der Rolle sehen, anderer Leute Zukunft durch unsere Entwürfe und das, was sie ermöglichen oder ausschliessen, zu beeinflussen - wie sieht unser Bild von Menschen und Gesellschaft in der Zukunft aus? Die Zukunft besteht ja schliesslich nicht aus Gebäuden, sondern aus kommenden Gesellschaften, die sich in und mit diesen Gebäuden beschäftigen müssen.

Samsarah 18.06.2004 12:07

An "Pattern Language" kann ich mich noch erinnern. Habe das Buch aber nur auszugsweise gelesen, ist ja auch nicht von der Art, daß man vorne anfängt und hinten ankommt...
Ich fand es damals im Grundstudium ganz hilfreich, aber es ist auch ein Zeugnis seiner Zeit und manchmal hatte man den Eindruck, die Dinge und Sichtweisen haben sich bis heute wieder geändert. An manchen Stellen schien mir die Logik dann auch wieder etwas zu - schwer das zu beschreiben - vielleicht zu banal und in gewisser Hinsicht auch klichéehaft. Das Zusammenleben von Menschen und deren Anforderungen läßt sich eigentlich nicht so reduzieren und die Verhaltensmuster sind einfach vielseitiger und komplexer.
Und wenn wir Qualität zumindest anteilig wie im vorangegangenen Beitrag definieren, kommt ja nicht nur die Frage nach einer gesellschafts- und alltagsgerechten Architektur auf, sondern auch, und das ist noch schwerer zu beantworten, der Blick in die Gesellschaften von morgen, deren Bedürfnisse, Alltag, Anforderungen an die Architektur.
Wir vergessen häufig, daß Architektur von Dauer sein sollte und damit auch über Generationen deren Qualitätsanspruch genügen muß. Also muß es doch möglich sein, diesen Begriff irgendwie zu objektivieren.

Samy

VUF 22.06.2004 11:20

Das mit "Architektur von Dauer" ist ja genau das, worum es geht. Wenn wir ein kohärentes Bild einer Gesellschaft entwickeln - sozusagen den "Idealzustand" - dann wissen wir auch, was und wie man bauen müsste um in der Zukunft dieser "Idealgesellschaft" eine angemessene, gebaute Umwelt zu schaffen.
Das ist das Gegenteil von dem, was Corbusier vorhatte; nämlich die Leute erstmal dazu zu erziehen, glücklich in Serienhäusern zu leben; ihnen die "richtige" Einstellung anzuerziehen ("Verse une architecture"). Wenn wir uns heute bloss dem anpassen, was der Markt angeblich will, dann zementieren wir aktuelle Zustände für eine potentielle Ewigkeit, anstatt den Raum für in der Zukunft wünschenswertere Zustände zu schaffen.

Wenn wir das gesellschaftliche "Enterprise"-Ideal verfolgen, dass die Maschinen die Arbeit machen und alle Menschen sorgenfrei und versorgt sind - OK! Aber dann sollte die Architektur noch immer dem gerecht werden, was Menschen empfinden und brauchen, nicht dem, was Maschinen am einfachsten und billigsten produzieren können. Der Prozess des Entstehens ist aber genauso wichtig wie das Ergebnis, denn das Ausschliessen von Menschen aus dem Produktionsprozess, sie zu Monteuren zu degradieren, vermittelt das deprimierende Gefühl, ersetzbar und damit praktisch überflüssig zu sein.
Die haptische Qualität von natürlichen Materialien und ihren manchmal auch fehlerhaften Oberflächen, der visuelle Reiz des Schattenspiels auf plastisch durchformten Fassaden (im Massstab von 1cm - 2m), die Eigenschaft von Materialien, anständig zu altern - überhaupt Altern zuzulassen, anstatt kurzfristig "perfekte" Oberflächen zu produzieren - all das schafft eine Verbindung zu unserer eigenen, mängelbehafteten Kreatürlichkeit.

"Es ist etwas grundverkehrt mit der Art, wie heute Architektur praktiziert wird. Architektur ist nicht etwas ganz Seltenes, das nur von wenigen Eingeweihten verstanden werden kann. Architektur ist nur ein anderer Name für "Gebäude". Wie alle anderen Gegenstände auch kann man sie unter reinen Nützlichkeitsaspekten betrachten oder sie werden mit diversen Mitteln verbessert wie z.B. Dekoration um sie visuell attraktiver zu machen, oder sie werden als Abbilder gebraucht, um andere Sinneseindrücke zu evozieren. In jedem Fall jedoch verkörpern sie die Werte derjenigen, die sie errichtet haben ... Es ist jedoch ebenfalls nachvollziehbar, dass Gebäude die Werte zumindest des Grossteils derer wiederspiegeln sollten, die sie bewohnen. Wenn sie dieses nicht tun, gibt es einen Konflikt zwischen der Perspektive einer Gesellschaft und ihrer gebauten Umwelt. Da, wo sich Gebäude in Harmonie mit der Gesellschaft befinden, unterstützen und bereichern sie das alltägliche Leben.
Unglücklicherweise reflektieren die von Architekten produzierten Entwürfe eher ihre eigenen Wertvorstellungen als diejenigen der Gesellschaft, der sie eigentlich dienen sollen. Dieser Interessen-Konflikt ist so sehr mit der historischen Entwicklung des Berufsstandes verknüpft, dass das Wort "Architektur" selbst zu einem entscheidenden Teil des Problems geworden ist. Wie der Begriff "Kunst" ist auch Architektur vor langer Zeit von einer kleinen Gruppe Spezialisten vereinnahmt worden, um ihren eigenen symbolischen Wert zu kategorisieren und um ihn vom Geschmack "der Anderen" zu trennen. Das Ziel dieser Strategie war es, alternative Arten von Erfahrungen zu marginalisieren und auszuschliessen."
Anthony Jackson; "Reconstructing Architecture for the Twenty-First Century"



Ich fand Pattern Language überhaupt nicht klischeehaft; ich war nur immer wieder überrascht, wie einfach und nachvollziehbar die Argumente Christopher Alexanders sind. Und ich glaube nicht, dass sich am Empfinden und den alltäglichen Bedürfnissen der Menschen (worum es hauptsächlich geht) seit den 70ern so wahnsinnig viel geändert hat. An den Menschen selbst (wie auch ihrem Reproduktionsprozess!) hat sich - streng genommen - seit der Antike nicht so sehr viel geändert. ;)

So sehr reduziert sind die Aussagen zu Menschen und ihrem Zusammenleben auch gar nicht - wenn aus 253 Patterns (Stadt, Haus, Konstruktion) ein kohärentes Ganzes entsteht, dann ist das immer noch offen genug, dass jeder im Rahmen des Entstandenen mehr oder weniger machen kann, was er will. Es geht doch nur darum, einen funktionierenden, nachhaltigen Rahmen zu erstellen - über die Inhalte kann sich jede Generation selber Gedanken machen. Der Rahmen soll nur nichts ausschliessen.

Vor kurzem habe ich mit einem Freund von Christopher Alexander gesprochen, der auch an "The Nature of Order" mitgearbeitet hat. Ich war etwas im Zweifel, ob die Methode, im Bauen möglicherweise so intensiv auf die Vorstellungen und Wünsche eines Einzelnen einzugehen nicht eher dazu führt, dass das Gebäude für die nächste Benutzergeneration unbrauchbar wird. Er meinte nur, das geschähe schon deshalb nicht, weil im Allgemeinen niemand dermassen extrem wäre, dass nicht jemand anderes mit den Ergebnissen leben könnte. Und in den Fällen, wo Situationen entstehen, die einem Nachnutzer fragwürdig erscheinen könnten, würde man schon durch die Qualität der restlichen Architektur entschädigt.

D.Hard 25.10.2004 21:32

Nun gut
 
...das war zu erwarten.
Das scheint ein Thema zu sein zu dem jeder gerne etwas wüsste
und genauso gerne vorgibt etwas zu wissen...
Ich habe mir wirklich die Mühe gemacht und habe alles gelesen und jeden genannten Link verfolgt...mir fehlen die Worte.
Es kommt mir vor als hätte ich die Frage nach dem "was die Welt im innersten zusammenhält" gestellt.
Die Beiträge waren, bis auf ein paar erhellende Momente,von
Wichtigtuerei, Rechthaberei und aufgeblasener Rethorik (oft überformuliert und schwer zu lesen) durchzogen.
Ich entschuldige mich für meine vieleicht etwas "zu ehrliche" Meinung,
aber diese Eigenschaft ist ja wohl schon an der Fragestellung zu erkennen.
D. Hard

Samsarah 26.10.2004 10:04

Und Deine ach so bodenständige Meinung zu dem Problem sähe dann wie aus?

Andere für Ihren Versuch, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, einfach plattzuwalzen, ob gerechtfertig oder nicht kann ja jeder für sich überlegen, ist jedenfalls zu einfach. Das ist ein Totschlagargument. Dann erwarte ich auch einen eigenen konstruktiven Ansatz zum Ganzen :p .

Grüße,
Samy


Alle Zeitangaben in WEZ +2. Es ist jetzt 11:35 Uhr.

Powered by vBulletin® Version 3.8.11 (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2024, Jelsoft Enterprises Ltd.
SEO by vBSEO
Copyright ©2002 - 2022 tektorum.de®