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Archimedes 22.01.2013 18:27

AW: Neverending Baukosten - Wer kann das erklären?
 
Zitat:

"Dummköpfe oder Lügner" nennt Bent Flyvbjerg, Professor für Stadtplanung in Oxford, Manager von Großprojekten wie dem Berliner Flughafen. Ihre Kosten- und Bauzeitprognosen strotzten vor Naivität oder Unehrlichkeit. Der renommierte Experte für Megaprojekte schlägt eine neue Methode vor, um die Voraussagen verlässlicher zu machen: Für Hunderte Großprojekte weltweit hat er errechnet, wie deutlich die tatsächlichen Kosten über die geplanten hinausschossen. Den so errechneten Zuschlag, fordert Flyvbjerg, müssten künftige Bauherren dann schon von Anfang an einplanen.

Bauprojekte: So teuer werden künftige Großbaustellen - SPIEGEL ONLINE

bimfood 28.01.2013 22:18

AW: Neverending Baukosten - Wer kann das erklären?
 
mh. Woran liegt das?

Fehlt den Verantwortlichen das Rückgrat um gleich bei der ersten
Projektsitzung die Kosten vollumfänglich anzusprechen?
Da wird m. E. nicht selten fleißig drauflos geschönt, damit ein Projekt
überhaupt zustande kommt. Am Ende kommt die Kohle schon von irgendwo
her. Schlimmstenfalls werden dann doch Abstriche gemacht.

Oder auch ein Klassiker: "Wir bauen mal was. - Was genau und wieviel
davon wissen wir noch nicht genau. Mal sehen was geht, und wie es sich
entwickelt." Übrigens vielleicht auch gar keine schlechte Methode, da sich
die Anforderungen ohnehin während des Projektverlaufes 1000+1-fach
Fortentwickeln und Annahmen, die zur Zeit des Projektbeginns getroffen
wurden schon wieder hinfällig sind.
Ein Bekannter (kein Architekt, sondern Arzt) erzählte von einem Kranken-
hausbau in Göttingen (aktuelles Projekt). Dort werden angeblich Innenwände
hergestellt, bei denen jetzt schon klar ist, dass sie vor Inbetriebnahme
wieder rückgebaut und in anderer Grundrisszonierung wieder errichtet
werden (nicht die selben Wände, sondern neue) weil dieser Vorgang
kostengünstiger ist als die bestehenden Wände gleich "richtig" aufstellen
zu lassen! lol


Ich habe es auch schon erlebt, dass erst einmal ganze Kostengruppen
(z. B. die Herstellungskosten für Freiraumgestaltung) ausgeklammert werden,
weil z. B. die Beauftragungssituation unklar ist. "Plötzlich" kommen diese
später dazu. Trotz regelmäßiger Protokolleinträge, die alle Beteiligten
auch nachweißlich erhalten haben.

Und wie steht es um diejenigen, die die Kosten schätzen. Aus Gesprächen
mit meinen (Berufseinsteiger-) Freunden, ergibt sich oft, dass es eben diese
sind, die "ins offene Messer laufen gelassen werden". .... Da wird schonmal
die Abdichtung hinter der Perimeterdämmung vergessen, um ein Beispiel zu
nennen.

bim

Archimedes 29.01.2013 07:52

AW: Neverending Baukosten - Wer kann das erklären?
 
Zitat: In Deutschland läuft es bisher oft andersherum: Planer verweisen auf die Einzigartigkeit ihrer Gebäude, um sich so einem fairen Vergleich von Kosten und Nutzen zu entziehen.

Auf solche extremen Preissteigerungen bzw. bewußtes Unterschlagen von Infos und Rechenfehler im Vorfeld folgt in Deutschland doch keine ernstzunehmende Konsequenz. Da liegt das Problem. Gerade bei großen Projekten muss man sich doch weniger fürchten, als bei Jedem kleinen Projekt, wo dem Architekten der rechtschutzversicherte Privatmann schon wegen deutlich geringerer Vergehen oder Versäumnisse die Hölle heiß macht.

Politische Verantwortung für solche Dinge zu übernehmen bedeutet doch im Grunde nichts mehr. Das heißt doch nichts anderes, als den einen Posten freiwillig zu räumen um dann gleich den nächsten anzutreten bzw. hat man ja noch meist mehrere Ämter und kann auch gerne mal auf eines verzichten.
Von persönlicher Haftung, finanziellen Einschnitten, Strafverfolgung oder spürbaren Konsequenzen keine Spur.
Stattdessen debattiert man lachend in Talkshows mit anderen "Politgrößen" und amüsiert sich über das Verschleudern von Steuergeldern.
Ich denke, dass man als Architekt, so lange man das Spiel der Politiker und Entscheidungsträger mitspielt, die Zeichen trotz erheblicher Kostenüberschreitungen ganz gut stehen auch weiterhin Großprojekte beauftragt zu bekommen. Man muss halt nicht Millionen von Steuerzahlern gefallen, sondern nur einigen Wenigen, die am längeren Hebel sitzen.

bimfood 29.01.2013 13:51

AW: Neverending Baukosten - Wer kann das erklären?
 
Zitat:

Zitat von Archimedes (Beitrag 49251)
Ich denke, dass man als Architekt, so lange man das Spiel der Politiker und Entscheidungsträger mitspielt, die Zeichen trotz erheblicher Kostenüberschreitungen ganz gut stehen auch weiterhin Großprojekte beauftragt zu bekommen. Man muss halt nicht Millionen von Steuerzahlern gefallen, sondern nur einigen Wenigen, die am längeren Hebel sitzen.


Na dann ist doch alles in Ordnung ;)

Archimedes 23.04.2013 23:05

AW: Neverending Baukosten - Wer kann das erklären?
 
Olaf Scholz: Elbphilharmonie wird 789 Millionen Euro kosten - SPIEGEL ONLINE

Na, jetzt hat man wohl mal endlich konkrete Zahlen im Kopf. 789 Millionen soll sie nun kosten, die "neue" Elbphilharmonie.
Gut 10x soviel, wie ursprünglich veranschlagt. Da das Projekt deutlich vor der HOAI-Novelle 2009 begonnen wurde, darf sich der Architekt hoffentlich auch auf eine Vervielfachung seines Honorars freuen, trotz geringerfügiger Abweichungen zur Kostenschätzung. :D

Zitat: Die Elbphilharmonie kommt den Steuerzahler damit mehr als zehnmal so teuer wie ursprünglich geplant, als das Hamburger Prestigeprojekt noch mit rund 77 Millionen veranschlagt wurde. Scholz sagte dazu: "Wenn man am Anfang den Mut und die Bereitschaft gehabt hätte, das Gebäude fertig zu planen und erst dann die Aufträge zu erteilen, wäre möglicherweise von Beginn an klar gewesen, dass man dieses anspruchsvolle Konzerthaus nicht für die damals vermittelten Summen errichten kann."

Mich beruhigt so etwas immer ein Stück weit. Warum? Solange wir uns in Deutschland noch solche fatalen finanziellen Fehltritte leisten können ohne ins Straucheln zu geraten und die Fassung zu verlieren, muss es uns allen noch verdammt gut gehen.

Archiologe 24.04.2013 09:22

AW: Neverending Baukosten - Wer kann das erklären?
 
Zitat:

Zitat von Archimedes (Beitrag 49987)
Da das Projekt deutlich vor der HOAI-Novelle 2009 begonnen wurde, darf sich der Architekt hoffentlich auch auf eine Vervielfachung seines Honorars freuen, trotz geringerfügiger Abweichungen zur Kostenschätzung. :D

Man spricht von 80 Millionen Euro Architektenhonorar für H&deM. Das hat sich wirklich gelohnt. Vielleicht sollte ein jeder Architekt, ohne zu wissen wohin die Reise geht, einfach mal so drauflosbauen. :cool:

Lang 24.04.2013 16:29

AW: Neverending Baukosten - Wer kann das erklären?
 
hand auf´s herz:
wer von den foristen hier hat am anfang - auf grundlage der ersten Perspektiven - geglaubt, dass die sache mit dem 80 mio € zu realisieren ist?

Archimedes 24.04.2013 17:32

AW: Neverending Baukosten - Wer kann das erklären?
 
Zitat:

Zitat von Lang (Beitrag 49995)
hand auf´s herz:
wer von den foristen hier hat am anfang - auf grundlage der ersten Perspektiven - geglaubt, dass die sache mit dem 80 mio € zu realisieren ist?

Ehrlich gesagt habe ich mir das damals gar nicht angeschaut, weil mich Projekte unter 100 Millionen erst gar nicht interessieren. :D lol

Grobe Schätzung hin oder her...lt. Rechtsprechung darf selbst bei einer vorvertraglichen Kostenschätzung die Abweichung nicht höher als 100% ausfallen. Manche Quellen sprechen von bis zu 58% als maximal zulässig.

Mir kann keiner erklären warum man immer mehr den Eindruck gewinnt, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Bei kleinen Projekten sind +20% Kostenabweichung schon ein Kapitalverbrechen, während bei großen Projekten quasi alles erlaubt ist.

Archiologe 24.04.2013 18:27

AW: Neverending Baukosten - Wer kann das erklären?
 
Wenigstens in Ansätzen sollte doch das Tragwerk eines Daches vor Baubeginn berechnet sein. Aber irgendwie hatten sich die Architekten dazu keinen Kopf gemacht, nur schön sollte es sein. Das nenne ich mal eine Kostenschätzung.:D

Erschaffer 26.04.2013 15:16

AW: Neverending Baukosten - Wer kann das erklären?
 
Aber es liegt doch nicht nur an den Architekten? Es liegt doch auch an den ganzen finanziellen Interessen, die hier bedient werden wollen...

k-roy 27.04.2013 10:37

AW: Neverending Baukosten - Wer kann das erklären?
 
das ist ein politisches Projekt. Da rechnet keiner das Dach durch, sondern es wird zuerst ein Preis genannt, der auch zustimmungsfähig ist. Das ist doch selbst bei kleinen Projekten so.

Und das fängt ja schon bei Wettbewerben an. Da wird eine Obergrenze ausgelobt, alle rechnen das hin, und alle Beteiligten wünschen sich ganz dolle, daß der Kostenrahmen auch gehalten werden kann. Dann werden Stück für Stück die Kosten angepasst, und weitere Gelder beantragt und aquiriert.

Archimedes 27.04.2013 18:49

AW: Neverending Baukosten - Wer kann das erklären?
 
Ich denke, es hat Jeder durchschaut, dass hier auch die Politik das Projekt durchdrücken wollte, "koste es was es wolle".

Aber wo bitte ist hier die Schmerzgrenze erreicht? Wenn wir von einer Verdoppelung der Baukosten sprechen, ist das nicht rühmlich, aber vielleicht irgendwie noch zu rechtfertigen und zu erklären. Das hat sich quasi schon "eingebürgert".

Wir sprechen hier von nicht weniger als einer VERZEHNFACHUNG der Baukosten. Das kann selbst mit Augen zudrücken und den geschicktesten Ausreden nicht mehr kaschiert und geschönt werden.
Es geht hier in hohem Maße um Steuergelder und zwar nicht nur um die von Hamburger Bürgern, sondern auch das Geld anderer Bundesbürger, die Hamburgs Schulden über die Länderumlage mittragen müssen und kein neues Wahrzeichen im Heimathafen stehen haben. Beim Flughafen BER oder Stuttgart 21 läufts ähnlich.

Ernsthaft: Muss in einem solchen Fall nicht die Staatsanwaltschaft in alle Richtungen ermitteln, weil hier Tatbestände wie Betrug, Veruntreuung, Verletzung der Sorgfaltspflicht etc. erfüllt sein können?

Oder ist es so, wie ich vorher schonmal schrieb, dass bei solchen Großprojekten die absolute Narrenfreiheit gilt, während man bei kleineren Projekten, aber ähnlicher Sachlage, jedem Verantwortlichen längst an den "Allerwertesten gegriffen" hätte.

Tom 27.04.2013 19:04

AW: Neverending Baukosten - Wer kann das erklären?
 
Zitat:

Zitat von Archimedes (Beitrag 50007)
Es geht hier in hohem Maße um Steuergelder und zwar nicht nur um die von Hamburger Bürgern, sondern auch das Geld anderer Bundesbürger, die Hamburgs Schulden über die Länderumlage mittragen müssen und kein neues Wahrzeichen im Heimathafen stehen haben.

Hamburg hat seit 1950 inflationsbereinigt ca. 23 Milliarden EUR in den Länderfinanzausgleich gezahlt. Erst 2012 hat es nach Jahrzehnten mal ausnahmsweise 20 Mio. bekommen. Ob das mit der Elbphilharmonie zusammenhängt, entzieht sich meiner Kenntnis.

Ich persönlich habe den Eindruck, dass die jetzt kommunizierten Gesamtkosten den Entscheidern in Politik & Wirtschaft nicht übertrieben hoch erscheinen für diese Hochglanz-Projekt. Leuchtturm-Projekte lässt man sich anderswo gerne 1-2 Milliarden EUR kosten, sei es für Infrastruktur oder Kultur ...

T.

Archimedes 28.04.2013 11:40

AW: Neverending Baukosten - Wer kann das erklären?
 
Zitat:

Zitat von Tom (Beitrag 50008)
Erst 2012 hat es nach Jahrzehnten mal ausnahmsweise 20 Mio. bekommen. Ob das mit der Elbphilharmonie zusammenhängt, entzieht sich meiner Kenntnis.

Ja, es war mir bekannt das Hamburg erst seit kurzem zu den "Nehmerländern" beim Länderfinanzausgleich zählt. Wir dürfen gespannt sein, wie es sich in den nächsten Jahren entwickelt. Es gibt ja auch noch andere Zuwendungen und Mittel, die nichts mit der Länderebene zu tun haben, so daß es recht schwierig geworden ist zu erkennen, wer in Deutschland, wieviel, wann für irgendetwas zahlt. Man schaue sich nur mal die Einnahmen aus dem Straßenverkehr (KFZ-, Öko-, Mineralölsteuer, Maut...)an, die überwiegend zweckfremd eingesetzt werden.

Zitat:

Zitat von Tom (Beitrag 50008)
Leuchtturm-Projekte lässt man sich anderswo gerne 1-2 Milliarden EUR kosten, sei es für Infrastruktur oder Kultur

Das ist ja auch völlig in Ordnung, wenn man über die nötigen Mittel verfügt und von Anfang an ehrliche Zahlen nennt. Es kann aber doch nicht sein, dass man um eine Akzeptanz und Genehmigung zu erlangen erstmal so tief stapelt und dann scheibchenwiese nachkartet. Üblich oder nicht, es ist nicht richtig.

Sind wir schon so weit, dass wir es einfach hinnehmen und habe nur ich das Gefühl, dass hier etwas Unrechtes passiert?

Tom 28.04.2013 15:38

AW: Neverending Baukosten - Wer kann das erklären?
 
Zitat:

Zitat von Archimedes (Beitrag 50009)
Sind wir schon so weit, dass wir es einfach hinnehmen und habe nur ich das Gefühl, dass hier etwas Unrechtes passiert?

Nein, ich befürworte das ja nicht. Da muss sich schon grundsätzlich etwas ändern. Fehlendes Projektsteuerer-Know-How auf Auftraggeber-Seite wurde einhellig als ein Grund für die Kostenentgleisungen identifiziert. Es müssen auf allen Seiten des Tisches Leute sitzen, die es ungefähr gleich dick hinter den Ohren haben. In Hamburg wurde offenbar in einem recht unreifen Planungsstadium ein Vertrag geschlossen, der für die Stadt/Verwaltung solche Rechts- und Kostenrisiken birgt, dass Hochtief daraus eine jahrelange Nachtrags-Orgie machen kann.

Aus meiner Sicht werden Kostenschätzungen und -berechnungen aber immer eine höhere Form des Ratens bleiben, weil niemand die Marktentwicklung voraussehen kann. Bei vieljährigen Vorhaben wird es vollends unmöglich. In GU oder GMP-Verträgen werden die Risiken einfach mit eingepreist - und die Nachträge kommen dann noch zusätzlich oben drauf. Wir haben das jetzt kürzlich bei einem 100 Mio-EUR-Projekt im Detail durchdiskutiert. Als Ergebnis soll jetzt eine Einzelgewerkevergabe für jeden Bauabschnitt getrennt gemacht werden. Einmal, um Risikozuschläge in den Angeboten zu vermeiden und außerdem, um vom 1. BA für den 2. zu lernen.

T.


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