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Datum: 20.06.2014
Uhrzeit: 20:11
ID: 52893 | AW: In welchem Stil sollen wir bauen?
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Hier mal ein interessanter Blick auf die Baugeschichte aus
Deutsche Bauakademie: Handbuch für Architekten; VEB Verlag Technik Berlin, 1954 Zitat:
5. Der Verfall der Baukunst
Der Verfall der Baukunst war mit dem Übergang des Kapitalismus in seine Spätphase verbunden. Das Profitinteresse des privaten Haus- und Grundbesitzes führte zu einer chaotischen Bautätigkeit und einer entsprechenden Baugesinnung. Die immer weiter um sich greifende geistige Verarmung lieferte die Architektur dem Eklektizismus aus. Diese beiden Faktoren bestimmten auch die Lösung der vielen neuen Bauaufgaben, die sich aus dem außerordentlichen Aufschwung der Produktivkräfte ergaben (der Bau von Industriewerken, Warenhäusern, Bahnhöfen usw.). Profitinteresse und Ideenarmut verminderten ebenso umfassende stadtbaukünstlerische Leistungen, die den wahren Bedürfnissen der gesamten Bevölkerung entsprochen hätten. Ein Beispiel dafür ist der Hobrechtsehe Plan von 1864 für die Stadterweiterung von Berlin, der nur ein schematischer Straßen- und Kanalisationsplan ist.
In dem Unterschied zwischen den herrschaftlichen Villenvierteln und den Elendsquartieren der Mietskasernen spiegeln sich die wachsenden Klassengegensätze des Kapitalismus besonders deutlich wider. in Deutschland verstärkte sich diese Entwicklung nach 1870.
Als neue Baustoffe, wie z. B. Eisen und Stahlbeton, zur Verfügung standen, als neue Konstruktionen die technischen Möglichkeiten erweiterten, gelang es nur wenigen Architekten, wie Messel, Poelzig, Behrens, Tessenow, Bonatz, und auch nur in einzelnen Fällen, sie baukünstlerisch zu meistern. Um eine theoretische Klärung des Problems bemühte sich, neben seiner praktischen Tätigkeit, vor allem Th. Fischer. Der von Otto Wagner, van de Velde, Olbricht u. a. gemachte Versuch zur Oberwindung des Eklektizismus (Jugendstil) scheiterte ebenfalls, da sie von der Form, vor allem von der Baudekoration her, eine Erneuerung der Architektur anstrebten. Man griff damals noch auf Naturformen als Vorbild zurück. Die entscheidende Rolle gesellschaftlicher Ideen für die künstlensche Entwicklung wurde jedoch nicht erkannt. Darin lag bereits eine Auswirkung des beginnenden imperialistischen Zeitalters, das keinerlei Ideen hervorzubringen vermag.
Ihren vollen Ausdruck findet diese ldeenlosigkeit des lmpenalismus im Formalismus. Dessen markanteste Richtungen sind in der Architektur der Funktionalismus und der Konstruktivismus. Beide leugnen die Bedeutung des gesellschaftlichen Ideengehalts für das Kunstwerk und vernichten damit die Kunst. Diese Tendenz zeigte sich nicht nur an einzelnen Bauwerken, sondern auch im Städtebau. Die Stadt wird nicht mehr nach stadtbaukünstlerischen Gesichtspunkten geplant, sondern ausschließlich funktionalistisch. Das Unvermögen, die vorhandenen Städte vor allem in ihrem lnnern zu rekonstruieren und die Angst vor der Konzentration des Proletariats in den Städten führten zu den reaktionären Theorien von der Auflösung der Stadt durch Trabantenstädte, Gartenstädte u. a. Das drückt sich z. B. in den Schriften von Frank Lloyd Wright und Martin Wagner aus. Der Funktionalismus entstand etwa zu gleicher Zeit in Amerika wie auch in Europa. Otto Wagner bzw. Sullivan in Amerika waren seine Wegbereiter. Von de Velde formulierte 1912 die "Glaubensartikel" des Konstruktivismus. Eines der Zentren des wurde das Bauhaus in Weimar, später in Dessau, mit Gropius, Mies von der Rohe u. a. Charakteristische Bauwerke des Formalismus waren das Bauhaus in Dessau, die Weißenhofsiedlung in Stuttgart, die Werke von Le Corbusier usw. Seit 1930 etwa ist Amerika die Hochburg des Formalismus in der Architektur. Auch er wurde zum Werkzeug, mit dessen Hilfe der Imperialismus versucht, seine kosmopolitische Ideologie durchzusetzen und sich die Nationen zu unterwerfen. | |
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Ort: Berlin Beitrag
Datum: 20.06.2014
Uhrzeit: 20:35
ID: 52894 | AW: In welchem Stil sollen wir bauen?
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Und hier noch ein interessanter Ost- West- Vergleich aus SIcht der DDR 1954 Zitat:
Deutsche Baukunst in der Nachkriegszeit
Nach der Befreiung Deutschlands vom faschistischen Joch wurden den Architekten beim
Aufbau der im Krieg zerstörten Städte und Dörfer Aufgaben gestellt, wie sie die Geschichte der deutschen Architektur noch nicht kannte.
Im Osten Deutschlands, in der heutigen Deutschen Demokratischen Republik, wurde in Übereinstimmung mit dem demokratischen Inhalt der neugeschaffenen Ordnung und dank der Hilfe der Sowjetunion mit der systematischen Planung der Städte und dem planvollen Wiederaufbau bzw. Neubau von Industrie- und lngenieuranlagen, von Wohnbauten, Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern, Bauten der Kultur und des Sports begonnen. Im Westen unserer Heimat entstanden dagegen nach dem Kriege Kasernen, Flughäfen, luxuriöse Wohnbauten für die Besatzungsmacht, Geschäfts- und Verwaltungsbauten für in- und ausländische Monopolisten und Bankherren. Der Wohnungsbau tritt dort, was die finanziellen Aufwendungen betrifft, gegenüber diesen Bauvorhaben zurück. Neue Stadtplanungen konnten nicht verwirklicht werden, da der systematische Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Städte, in erster Linie ihrer Zentren, durch den privaten Besitz an Grund und Boden unmöglich gemacht wird. Infolgedessen blieben die Innenstädte vielfach zerstört liegen, und der Wohnungsbau wurde auf Flächen weit außerhalb des Stadtkerns abgedrängt. Der Zerfall der Baukunst tritt offen zutage.
Man baut vorwiegend, wie auch in den anderen kapitalistischen Ländern, formalistisch und unterwirft sich so der kosmopolitischen Ideologie des amerikanischen Imperialismus. Deshalb sehen die Bauten einander ähnlich, gleich wo sie stehen, ob in Westdeutschland, Italien, Frankreich oder in Amerika. Die Wohnbauten, Bank- und Verwaltungsgebäude, die Hotels und Warenhäuser in Gestalt unförmiger Kästen sind ein Ausdruck der Profitgier des Monopolkapitals unter amerikanischer Herrschaft. Die Zerstörung aller nationalen Eigenarten schreitet immer weiter fort. Das zeigt sich auch deutlich in der Vernichtung wertvoller historischer Ensembles. So wird die Baukunst durch das Bauen schlechthin ersetzt. Es gibt in Westdeutschland aber auch Architekten und andere Kunstschaffende, die zusammen mit den fortschrittlichen Kräften für die nationalen Aufgaben der deutschen Architektur eintreten, aber ihre Pläne nicht verwirklichen können. Zu ihnen gehören u. a. Paul Bonatz und einige seiner Schüler.
Die Architekten und Städtebauer der Deutschen Demokratischen Republik bemühen sich demgegenüber, gestützt auf das nationale Baukulturerbe, "eine Architektur zu entwickeln, die dem Volke verständlich ist, seiner Eigenart und seinem Schönheitsempfinden entspricht. Der Kampf gegen den Formalismus und seine für Deutschland typische Erscheinungsform, den sogenannten Bauhausstil, begann in Verbindung mit den großen Aufgaben, die der erste Fünfjahrplan enthält.
...
Die ersten Erfolge dieser fortschrittlichen Entwicklung zeigten sich in den Bauten, die anläßlich der Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1951 errichtet wurden, unter ihnen die Deutsche Sporthalle (Kollektiv Prof. Paulick). 1952 entstand das vielgeschossige Wohnhaus an der Weberwiese (Koll ektiv Prof. Henselmann) und vor allem der erste Bauabschnitt des Nationalen Aufbauprogrammes an der Stalinallee. Mit dem Bau dieses Teilstückes der Magistrale der Hauptstadt Deutschlands wurde der erste Schritt auf dem Wege zu einem fortschrittlichen Städtebau und einer realistischen Architektur getan.
Die Bauten an der Stalinallee, deren Architektenkollektive Hartmann, Henselmann, Hopp, Leucht, Paulick und Souradny mit dem Nationalpreis I. Klasse ausgezeichnet wurden, haben eine große Wirkung nicht nur auf die Öffentlichkeit der Deutschen Demokratischen Republik, sondern ganz Deutschlands ausgeübt.
Nach dem Beispiel Berlins wurde in Schwerpunktstädten der Deutschen Demokratischen Republik, wie Dresden, Leipzig, Magdeburg, Rostock, mit dem Aufbau, insbesondere der Zentren, begonnen. Eine ganz neue Stadt - Stalinstadt - beim Eisenhüttenkombinat an der deutsch-polnischen Grenze ist im Bau. in ihren Werken bemühen sich die Architekten, die fortschrittlichen Ideen zum Ausdruck zu bringen, indem sie die nationalen Traditionen als Ausgangspunkt nehmen und die Errungenschaften von Technik und Wissenschaft berücksichtigen. Dabei leisten die großen Erfahrungen und Erkenntnisse der Sowjetarchitektur wertvolle Hilfe.
Von Bauvorhaben der jüngsten Zeit verdienen die großzügigen Wohnbauten in den genannten Städten erwähnt zu werden, deren Baumeister versuchten, an die örtlichen Bautraditionen anzuknüpfen. in Leipzig wird die Hochschule für Körperkultur und an Stelle des alten zerstörten Operngebäudes ein Neubau errichtet. Unter den Kulturhäusern ist das Kulturhaus der Maxhütte bei Saalfeld zu nennen. Auch der Erhaltung und Rekonstruktion zerstörter Kulturbauten wird wesentliche Bedeutung beigemessen. Der Zwinger und die Hofkirche in Dresden wurden fast wiederhergestellt. Der Magdeburger Dom nähert sich der völligen Wiederherstellung. in Berlin werden u. a. das Brandenburger Tor, das frühere Zeughaus, die Hedwigskirche und die Staatsoper Unter den Linden wiederaufgebaut, wobei die Rekonstruktion der letzteren besondere künstlerische Aufgaben stellt. Dieses Bauschaffen in der Deutschen Demokratischen Republik dient dem Interesse des ganzen Volkes. Es ist somit ein wichtiger Beitrag im Kampf um die Einheit Deutschlands und den Frieden.
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